Luther, Martin – An seinen Sohn. 1530

Gnade und Friede in Christus!

Mein liebes Söhnchen,

ich höre gern, daß Du gut lernst und fleißig betest. Mach so weiter, mein Sohn! Wenn ich heimkomme, will ich Dir ein schönes Geschenk vom Jahrmarkt mitbringen.

Ich weiß von einem hübschen und lustigen Garten. Da gehen viele Kinder hinein, haben goldbesetzte Jäcklein an und sammeln unter den Bäumen herrliche Äpfel, Birnen, Kirschen, Mirabellen und Zwetschgen. Sie singen, springen und sind fröhlich, haben auch schöne kleine Steckenpferdchen mit goldenem Zaumzeug und silberbeschlagenen Sätteln.

Da fragte ich den Mann, dem der Garten gehört: „Was sind das für Kinder?“ Er antwortete: „Das sind die Kinder, die gern beten, lernen und brav sind.“ Ich sprach weiter zu ihm: „Guter Mann, ich hab auch einen Sohn, er heißt Hänschen Luther. Könnte er nicht auch in den Garten kommen und dort die schönen Äpfel und Birnen essen, auf den feinen Pferdchen reiten und mit den Kindern spielen?“ Er antwortete: „Wenn er gern betet, lernt und brav ist, darf er auch in den Garten kommen. Seine Freunde Lippus und Jost auch. Und wenn sie alle zusammen kommen, werden sie Musik machen mit Flöten, Schlagzeug, Lauten und anderen Instrumenten. Sie werden auch tanzen und mit kleinen Armbrüsten schießen.“

Und er zeigte mir in seinem Garten eine wunderschöne Wiese, vorbereitet zum Tanz, da hingen Flöten aus purem Gold, Schlagzeug und versilberte Armbrüste. Aber es war noch früh am Morgen, die Kinder hatten noch nicht gegessen, und warten, bis der Tanz begann, konnte ich nicht. So sprach ich zu dem Mann: „Ich will rasch nach Hause gehen und alles meinem Sohn Hänschen schreiben, damit er nur ja fleißig lernt, in rechter Weise betet und brav ist, so daß auch er in den Garten kommen kann. Aber er hat auch noch eine Tante Lene, die muß er auch mitbringen!“ Der Mann antwortete: „Einverstanden, so soll es geschehen. Geh hin und schreib“s ihm!“

Darum, Hänschen, mein lieber Sohn, lerne und bete ja eifrig, und sprich mit Philippus und Justus, daß auch sie lernen und beten. Dann werdet Ihr zusammen in den Garten kommen.

Nun behüt Dich der allmächtige Gott! Grüß Tante Lene und gib ihr ein Küßchen von mir:

Dein Dich liebender Vater Martin Luther