Calvin, Jean – An die französische Gemeinde zu Wesel.

Nr. 718 (C. R. – 3890)

Der Refugianten-Gemeinde zu Wesel sollte ein lutherisches Bekenntnis aufgenötigt werden, und um der Ruhe willen wollte sie es annehmen, fragte jedoch Calvin erst um Rat.

Über Aufrichtigkeit in der Bekenntnisfrage.

Sehr liebe Brüder, bevor wir Euren Brief beantworten, müssen wir Euch darauf aufmerksam machen, dass wir ihn erst vier Monate nach seinem Abgang erhalten haben, höchstens ein Tag fehlte noch. Wir erwähnen das, damit Ihr wisst, dass es nicht an uns lag, wenn wir nicht früher Eurem Wunsche nachgekommen sind. Doch um nun auf seinen Inhalt zu kommen, so tut es uns recht leid, dass Ihr so ohne End und Ziel umher getrieben werdet, und dass der Teufel, wo Ihr auch hinkommt, stets Mittel findet, Euch zu betrüben und zu belästigen. Freilich war die Lage unserer Väter um nichts besser, wie St. Paulus sagt, dass er und seinesgleichen keine Ruhe gehabt habe [2. Kor. 4, 8, 9; 11, 26]. So oft Ihr also auch Euren Wohnsitz ändern und so beweglich Ihr in Euren äußeren Verhältnissen sein müsst, so lernet fest und standhaft zu sein im Geiste und lebt nach dem Wort, das allen Gläubigen gilt, nämlich dass alle Kinder Gottes Fremdlinge auf Erden sein müssen [Hebr. 11, 13]. Einige von Euch hat Gott allerdings das in besonderer Weise erfahren lassen, indem er sie weit herum geführt hat. Indessen sind wir nicht ohne Mitleid und möchten Euch, wenn wir könnten, gerne eine Erleichterung schaffen. Aber so sehr uns Eurer Trübsal jammert, so steht es uns doch nicht an, Euch davon loszusagen, und täten wir es, so wäre es für Euch eine täuschende leere Schmeichelei und Ihr hättet nichts davon. Ja, Ihr wisst, je mehr wir versuchen, uns von Menschen freisprechen zu lassen, desto mehr steigern wir unsere Verdammung vor Gott. So bleibt mir nichts übrig, als Euch ganz schlicht und gerade unser Urteil in der uns vorgelegten Frage zu erklären.

Erstens waren wir recht erstaunt, von Euch zu hören, Ihr fändet in dem von Euch geforderten Bekenntnis nichts, was direkt gegen Gottes Wort verstieße, woraus wir sehen, dass Euch die Furcht ganz blind gemacht hat. Denn im Artikel von der Taufe werden ausdrücklich die verurteilt, die sagen, die Kinder seien von ihrer Geburt an geheiligt. Und was das Abendmahl betrifft, so wird von Judas ebenso gesagt, dass er am Leibe Jesu Christi teilgehabt habe, wie von St. Petrus. Weiter wird darin bekannt, unser Herr Jesus sei allgegenwärtig auch nach seiner menschlichen Natur, ganz wie es ihm beliebe, da er Gott und Mensch sei, wie wenn die Einheit seiner Person seine göttliche und seine menschliche Natur miteinander vermischte. Wenn Ihr sagt, es sei ja gar kein eigentliches Bekenntnis, so ist das mit Verlaub nichts als eine Ausflucht, um das Übel zu verhehlen und zu verbergen. Aber Gott ist kein Sophist und lässt seiner nicht spotten mit solchen Haarspaltereien. Nennt den Inhalt Eures Schriftstücks, wie Ihr wollt, so müsst Ihr doch mit feierlichem Eid bekräftigen, das sei Euer Glaube. Und selbst wenn man gar nicht an Gott dabei dächte, so spieltet Ihr doch ein doppeltes Spiel in einem solchen Versprechen, so dass man Euch mit Recht der Unaufrichtigkeit vor den Menschen zeihen könnte. Gesetzt den Fall, die Absicht, die die Herren vom Weseler Rat bestimmt, sei gut, so muss man doch danach trachten, einen guten Zweck nicht mit unerlaubten Mitteln erreichen zu wollen. Deshalb bitten wir Euch im Namen Gottes: habt Ihr eine kleine Weile geschlafen, so wacht nun zu klarem Erkennen auf. Denn, um offen zu reden, – wenn Ihr das Schriftstück, so wie es vorliegt, annehmt, so ist das, – wir wagen den Ausdruck, – ein indirektes Verleugnen der Wahrheit Gottes, die uns doch teurer sein sollte als jeder Wohnsitz der Welt, ja als unser eigenes Leben. Wir empfehlen Euch nun folgendes Mittel: Den ersten Artikel nehmt Ihr einfach an. Im zweiten, wo es heißt: „In der Meinung, dass die Taufe nicht notwendig sei für die Kinder, da sie schon heilig sind“ usw., setzt Ihr dafür ein: „In der Meinung, dass die Taufe überflüssig sei für die Kinder, da sie bereits durch die Verheißung geheiligt sind, da ja doch vielmehr das Sakrament eine für die menschliche Schwachheit notwendige Bestätigung sei und so die Verheißung die Taufe eher wertvoll als verächtlich mache.“ Im Artikel vom Abendmahl setzt Ihr statt der Worte: „Mit Brot und Wein die Substanz des wahren Leibes“ usw. folgendes: „Die Substanz des wahren Leibes und Blutes Jesu Christi, die er angenommen hat von der Jungfrau Maria, wird allen dargeboten, Guten wie Bösen. Wiewohl aber nur die Gläubigen sie wirklich und wahrhaftig genießen, machen sich doch auch die Ungläubigen schuldig des Leibes und des Blutes Jesu Christi, da sie das Sakrament entweihen.“ Weiter an Stelle des Satzes: „Wir verwerfen die Lehrer derer, die sagen, man empfange es nur geistig“ usw., setzt Ihr: „die sagen, man empfange nur seinen Geist, und Leib und Blut davon ausschließen wollen. Denn es heißt: Mein Fleisch ist die Speise und mein Blut ist der wahre Trank [Joh. 6, 55]. Und wiewohl es ein geistiges Empfangen ist, so heißt es doch nicht, es sei kein wirkliches Aufnehmen, und noch weniger, es sei nur Phantasie und Einbildung.“ Ebenso an Stelle der Worte: „Dass Jesus Christus nach seiner menschlichen Natur sitzt“ usw., „wir bekennen: wiewohl Christus nach seiner menschlichen Natur im Himmel ist, von dannen wir ihn erwarten, so sitzt er doch nach seiner unendlichen Macht zur Rechten Gottes seines Vaters, die sich überallhin erstreckt. So kann er ohne Ortsveränderung in unbegreiflicher Weise uns wahrhaft nähren mit seinem Fleisch und Blut.“ Im zweitletzten Artikel fordert das Wort „Sakramentierer“ eine Erklärung, nämlich „es sind die, die die Wirksamkeit der Sakramente leugnen und sie falsch brauchen“. Ebenso ist in Beziehung auf das Augsburgische Bekenntnis beizufügen: „nach oben stehender Erklärung“. Wenn die Herren vom Weseler Rat Euch wirklich so wohl geneigt sind, wie Ihr schreibt, so können sie sich zufrieden geben, wenn Ihr ihnen die Erklärung abgebt, Ihr wollet Euch nicht vorwerfen lassen, Haarspaltereien und schlaue Ausflüchte gesucht zu haben, um sie zu hintergehen. Was aber die Pfarrer betrifft, so sehen wir wohl, dass sie Euch ein Netz stellen wollten, um Euch in ihre Phantasterei mit hineinzuziehen, als sei der Leib Jesu Christi ebenso allgegenwärtig wie seine Gottheit. Seid also auf der Hut! Da Ihr, liebe Brüder, nötig habt, dass Gott Euch seine Hand reiche, so wollen wir ihn bitten, er wolle Euch führen in solcher Klugheit und Euch stärken mit so unüberwindlicher Festigkeit, dass Ihr in keiner Weise abweicht von seinem reinen Wort den Menschen zu Gefallen, und dabei halte er Euch in seiner heiligen Hut.

Genf, 1. Januar 1563.

Calvin, Jean – An die französische Gemeinde in Wesel.

Nr. 510 (C. R. – 2535)

 

Die französischen Refugianten wurden vom Weseler Rat gezwungen, das Abendmahl nach lutherischem Ritus zu genießen; ihren Pfarrer Francois Perrucel nahm Calvin für Frankfurt in Aussicht.

 

Von den Schwierigkeiten einer Refugiantengemeinde.

 

Die Liebe Gottes, unseres Vaters, und die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei mit Euch durch die Gemeinschaft des heiligen Geistes.

 

Sehr liebe Brüder, als ich von unserm lieben Bruder, Mag. Francois [Perrucel], Euerm Pfarrer, die Lage Eurer Gemeinde erfuhr, war ich ungewiss und im Zweifel, was ich Euch raten sollte. Schließlich bat ich ihn aber und ermahnte ihn, er solle sich soviel wie möglich bemühen, die Behörde, die bis jetzt so eifrig war, Eure Freiheit zu unterdrücken, milder zu stimmen. Er versprach mir das; nun aber, da er alles versucht hat und sieht, dass seine Bemühungen erfolglos bleiben, halte ich es nicht für ratsam, ihn noch zu weiterem zu drängen und zu zwingen. Wahr ists freilich, dass er wie Ihr Euch darein schicken müsst, alles zu dulden, was erträglich scheint, damit nicht die Leute, die Euch in ihrer Stadt Gastrecht gewähren, meinen können, Ihr verachtetet sie. Denn Ihr könnt wissen und zwar aus Erfahrung, was derartiges Eifern nützt, und deshalb ist es nicht ratsam, sie zu reizen. Andrerseits ist aber doch auch zu beachten, was Euerm Pfarrer und was Euch erlaubt ist. Was Euch angeht, so wisst Ihr meine Meinung aus einem früheren Briefe; in Bezug auf ihn aber glaube ich, dass er weniger Freiheit hat. Denn wenn er, nachdem er so weit gegangen ist, sich nun wieder zurückzöge, so erhöbe sich ein noch lauteres Murren gegen ihn, nicht ohne Ärgernis zu erregen, und das müssen wir vermeiden. Darum sagte ich Euch, Ihr solltet ihn machen lassen und ihn nicht nach Euerm Maß messen; denn wenn es auch Euch erlaubt ist, derartige Zeremonien, wie man sie Euch auferlegt, anzunehmen, so könnte er als Pfarrer nicht das Gleiche tun, ohne sich den Vorwurf zuzuziehen, er spiele eine Doppelrolle, und ohne zu Euern Ungunsten eine Präzedenzfall für die Zukunft zu schaffen. Wenn er dagegen abgeht mit dem Protest, ein solches Joch könne er nicht tragen, so verschafft Euch das vielleicht die Möglichkeit eines guten Auswegs für später, während Euch seine Zustimmung jede Tür versperrt hätte. Freilich, ehe er dazu greift, wird er versuchen, wenn möglich die Verhältnisse nach dem, was ihm richtig scheint, zum Bessern zu wenden und Bedingungen zu erwirken, die er mit gutem Gewissen und ohne Ärgernis für die von ihm früher in reiner Lehre Unterwiesenen auf sich nehmen kann; hat das aber keinen Erfolg, so kommt erst eine Versetzung in Frage. Ließe Gott die Dinge zum Äußersten kommen, dass unserm Bruder jede Freiheit verweigert würde, nicht nur die, die Sakramente auszuteilen, sondern auch die, an ihnen teilzunehmen ohne Schande für sein Amt und Ärgerung der Schwachen, so bitte ich Euch um Gotteswillen, ertragt es geduldig, wenn er Euch lieber verlässt, als dass er sich zwingen lässt, Euch durch sein Beispiel in die Knechtschaft zu führen, aus der es dann keinen Ausweg mehr gibt. Dazu müsste er ja auch den Böswilligen Anlass geben, ihn zu schmähen, andrerseits aber das Gewissen der Schwachen verwirren. Mich wunderts zwar nicht, dass es Euch leid tut, einen solchen Mann, der Euch gut und treu gedient hat, entlassen zu müssen, ja es freut mich sogar, zu sehen, dass Ihr nur ungern in eine Trennung willigt, denn ich erkenne darin ein gutes Zeichen Eures Eifers und Eures Bestrebens, noch weiter zu kommen im Guten. Aber doch müssen wir unsere Neigungen, so schön sie auch sein mögen, im Zaum halten und uns mit dem zufrieden geben, was der Herr uns gestattet. Wenn Ihr aber Perrucel bei Euch behalten wollt unter Bedingungen, die nicht erbauend wirken, so ist die Grenze des Erlaubten überschritten. Wir müssen eben auch lernen, nicht so einer einzelnen Persönlichkeit zugetan zu sein, dass wir nicht auch die Lebensspeise annehmen könnten, mag sie uns bieten, wer da will. Fürchtet Ihr, eines Mannes beraubt zu werden, dessen erfolgreiches Wirken Ihr an Euch erfahren habt, so seid umso fleißiger und eifriger, Gott zu bitten, er möge ihn Euch erhalten und die Herzen Eurer derzeitigen Gegner so lenken, dass Perrucel auf die Dauer sich Euch widmen kann. Denn wie gesagt, es handelt sich nicht um sofortigen Abschied, bis in Bezug auf ihn alle Hoffnung verschwunden ist, dass er eine Besserung Eurer Lage herbeiführen könnte. Dann aber hofft auch, dass Euch der Herr einen andern erwecken wird, der seinen Dienst an Euch redlich tun wird. Seht vor allem zu, dass Ihr selbst nicht wankend werdet, denn es ist eine gefährliche Versuchung, wenn einige bereits von einer Separation von der Gemeinde sprechen. Gebt Euch vielmehr Mühe, das festzuhalten, was Euch der Herr hat beginnen lassen, und wartet, bis die Verhältnisse sich zum Bessern wenden, wenn es auch langsamer geht, als wir möchten. Nun, liebste Brüder, empfehle ich mich von Herzen Eurer Fürbitte und will selbst Gott unsern lieben Vater bitten, er möge Euch behüten, er möge Euch einen Geist der Klugheit und Rechtschaffenheit, der Kraft und unüberwindlichen Festigkeit geben und Euch reich machen an jedem Segen.

 

Frankfurt, 18. September 1556.
Euer ergebener Bruder
Johannes Calvin.