Nr. 640 (C. R. – 3259)
Erklärung eines unfreundlichen Empfanges.
Dass ich dich bei unserm letzten Zusammentreffen nicht gerade heiter empfing, geschah weder aus Widerwillen gegen dich, noch aus Verachtung, sondern einfach, weil ich mich nicht anders stellen wollte, als mir zu Mute war. Gewiss, ich hatte, wie du vermutest, allerlei Ungünstiges oder doch mir Missfallendes über dich gehört. So war ich von einer gewissen Angst befangen, so dass ich dir meine Empfindung nicht ganz frei und offen darlegen konnte. Meinst du, ich sei zu leichtgläubig gewesen, dass ich nicht sofort abwies, was doch einigermaßen wahrscheinlich klang, so wisse, dass andere über meine Schwergläubigkeit klagen, wenn ich nicht jedem Geschwätz Glauben schenke. Hätte ich doch von vornherein ohne Kenntnis der Sache verurteilt, so hätte ich unbillig gehandelt, das will ich gestehen; aber was mir berichtet wurde, einfach abzulehnen und das Urteil frommer Männer für nichts zu achten, wäre doch gar zu hochmütiger Eigensinn gewesen. Ich wollte dir nicht Unrecht tun durch gar zu rasche Annahme dessen, was ich gehört hatte, und doch konnte ich nicht glauben, dass das, was man von dir sprach, rein aus dem Nichts gegriffen sei. Nun schien mir dein ganzes Reden bei mir darauf hinauszulaufen, dass ich dir gratulieren sollte. Ich konnte es nicht, weil es die Sache nicht erlaubte, und wollte dich doch auch nicht durch besondere Schärfe verletzen und dich dadurch in deiner Pflicht lässig und lau machen. So war denn meine Rede unbestimmt und mein Benehmen sozusagen neutral; es sollte kein Zeichen von Hass und Verwerfung sein und doch auch nicht gerade entgegenkommend; denn hätte ich dergleichen getan, als billige ich alle deine Handlungen, so wäre es falsche Heuchelei gewesen. Freilich machten mich nicht nur diese Gründe befangen, sondern mir graute vor Euerm ganzen Wirrsal. Denn da ich sehe, dass ich doch gar nicht helfen kann, Euer Elend zu heben oder doch zu erleichtern, so lasse ich die Berichte voll Schmerz und Ekel gar nicht gern an mich heran. Das haben auch schon andere fromme Brüder erfahren, an denen ich noch allerlei anders haben möchte, die ich aber doch nicht aufhöre zu lieben, weil ich ihrer Schwachheit verzeihe. Sei also überzeugt, dass ich, obwohl ich an dir und deinesgleichen einiges gebessert sehen möchte, doch die brüderliche Gemeinschaft mit Euch weiter pflegen will. Je mehr dir und ihnen die traurige Verwirrung Eures Zustandes missfällt, umso mehr gefällt Ihr mir. Lebwohl. Der Herr sei stets mit dir; er leite dich mit seinem Geiste und segne dich samt deinem Hause.
Genf, 13. Oktober 1560.