Nr. 586 (C. R. – 2985)
Plutarch zitiert ein Wort des Sophokles: „Mit bitterm Mittel spült man bittre Galle aus“, im Ajas (Vers 581 ff.) steht: „Einem weisen Arzte kommt nicht zu, mit Klagen ein Übel beschwichtigen zu wollen, das nach dem Messer schreit“. An welches dieser Worte Calvin denkt, ist ungewiss, bekannter dürfte das erste gewesen sein. Der Krieg zwischen Philipp II. von Spanien und Heinrich II. von Frankreich wurde tatsächlich erst am 8. April 1559 durch den Frieden von Chateau-Cambresis abgeschlossen; das nur zwei Tagemärsche von Genf entfernte spanische Gebiet ist die Franche-Comte. Über den Brief Languets vgl. 568.
Vom Wechselfieber und seiner Behandlung. Allerlei Gefahren.
Weil ich wohl weiß, dass du, wie du selbst lässig bist im Briefschreiben, so auch deinen Freunden gern diesen Liebesdienst schenkst, so hatte ich eigentlich vor, mich mit Krankheit zu entschuldigen, erlauchter Mann und verehrter Bruder, wenn es mich nicht andrerseits freute, in deinen Busen ausschütten zu können, was mich drückt. Da ich bisher, Gott sei Dank, mich vor dem Wechselfieber sicher glauben durfte, so ists jetzt, weil ichs nicht kannte, so gekommen, dass erst der vierte Anfall eines solchen mich von meiner irrigen Anschauung befreite und mir zu spät die Art dieser Krankheit aufdeckte. Wenn ich mich nun auch solcher Unachtsamkeit schäme, so wirst du sie doch entschuldbar finden, wenn ich dir berichte, was mich hinderte, die Sache rechtzeitig zu erkennen. Das erste Mal kams über mich, als ich schlief oder eigentlich eher bewusstlos dalag, und so konnte es sich schon unbemerkt an mich heranmachen, besonders da es mit lästigen, furchtbaren Kopfschmerzen verbunden war, die mir nur allzu bekannt sind. Als mich dann wieder einmal das Zittern kurz vor dem Abendessen ergriff, glaubte ich es, wie gewöhnlich einen verdorbenen Magen, mit Fasten genügend kurieren zu können. Tags darauf warfs mich zwar nieder, dass ich liegen musste, aber bald erholte ich mich und war schon froh, den heftigen Schmerz los zu sein, und kam so unwissend und unkundig, wem der Kampf galt, bis zum vierten Anfall. Nun ists schon fast anderthalb Monat, seitdem ich die Krankheit erkannt und mich den Ärzten überliefert habe, die mich ins Zimmer sperren, ja mich fast immer im Bette halten, mich auch mit zweifachen Pelzhüllen ausstaffieren und zuweilen das bekannte Wort des Sophokles zitieren. Mein Leib ist so verhärtet, dass er nichts von sich gibt, als was ihm durch Klystier entwunden wird, woran ich allerdings gar nicht gewöhnt bin. Sie schreiben mir die besten und süßesten Speisen vor und zu keiner habe ich Appetit; daher nehmen meine Kräfte langsam ab. Doch kämpfe ich dagegen an, helfe meinem darnieder liegenden Leibe mit allerlei dummem Zeug von Nahrung wieder auf, und lasse mich nicht von meinem Ekel davor beherrschen; auch handle ich nicht wie die meisten, die ihren Appetit zu beleben suchen durch allerlei Leckerbissen, die bei dieser Krankheit schädlich wären. Ja, ich weiche nicht um Nagelsbreite von der ärztlichen Vorschrift; nur wegen der großen Trockenheit in mir erlaube ich mir, ein wenig mehr zu trinken. Dafür muss ich noch teilweise die Ärzte beschuldigen, die ängstlich fordern, ich dürfe nur Burgunder trinken, so dass ich ihn nicht einmal mit Wasser verdünnen oder sonst wie mäßig brauchen darf; ja hätte ich nicht Malvasier und Muskateller hartnäckig abgelehnt, so hätten sie gewollt, ich solle mich sogar mit solch hitzigen Getränken zu Grunde richten. Weil ich aber weiß, dass sie in der Theorie ihrer Kunst ungewöhnlich bewandert und ebenso in langer Praxis geübt sind, tue ich ihren Willen nicht nur aus Pflichtgefühl, sondern lasse mich auch ganz gern von solchen Herren lenken. Meinen Wein mischen sie mit Tausendfuß-Kraut und pontischem Wermut; meinem Magen führen sie Sirup aus Ysop, aus Elenium oder aus Cedernrinde als Linderungsmittel zu in bestimmter Reihenfolge, damit die einzelne Arznei immer wieder wie eine neue wirkt. Einmal erst haben sie versucht, die Säfte der Melancholie aus der Milz wegzubringen. Doch ich missbrauche, scheint mir, deine Muße allzu ruhig, und auch mir und meiner Gesundheit ist dieses Diktieren in der Fieberhitze nicht sonderlich gut; aber da ich nicht weiß, wie die Krankheit ausgeht, so wollte ich dir doch das sagen, dass ich schon bei ihrem Beginn darauf bedacht war, jeden Moment gerüstet zu sein und mich bereit zu halten, mich jedem Winke Gottes zu ergeben.
Indessen – damit du auch die Gefahren kennst, in denen ich lebe – es heißt allgemein, wenn zwischen den beiden Königen Friede geschlossen werde, so werde sich die ganze Wut des Krieges gegen uns wenden, damit mit unserm Blut, was zu sühnen ist, begossen werde. Dabei musst du wissen, dass Genf durch Entfernung und natürliche Befestigung nicht besser geschützt ist, als wenn wir in freiem Felde fechten müssten. Philipps Gebiet ist nur zwei Tagmärsche von unsern Toren entfernt; noch näher ist uns der französische König; seine Truppen können in einer halben Stunde unsere Stadt erreichen. Daraus kannst du schließen, dass wir nicht nur befürchten müssen, vertrieben zu werden, sondern dass uns auch der grausamste Tod droht; denn dem Evangelium gegenüber kennt ihr Fanatismus keine Grenzen. So braucht dir deine Lage nicht so schwer zu scheinen; denn dass ehemalige Schüler, die schon deinem Alter Ehrfurcht schuldig wären, dich feindselig bekämpfen, einen Mann, der nicht nur das Amt ihres geistigen Ernährers in größter Treue und größtem Fleiß redlich bekleidet, sondern sich auch um die ganze Kirche hoch verdient gemacht hat, das Los ist dir, wenn du es recht betrachtest, mit vielen gemein, auch mit mir. Denn wie frech und schmählich mich einige Zungendrescher behandeln, glaubst du kaum. Die Westphalianer aber, obwohl sie aus der Ferne ihre Geschosse wider mich schleudern, sind in ihrer Bosheit noch bei weitem frecher; doch will ich wie bisher auf mein Ziel zustreben. Freilich gerade im Abendmahlsstreit lästern nicht nur die Feinde verleumderisch über deine so genannte Schwäche, sondern auch deine besten Freunde, die dich verehren mit dem Respekt, den du verdienst, möchten, das Feuer deines Eifers flammte heller; denn seine schwachen Fünklein verachten, ja zertreten jene ungeschlachten Riesen. Doch was es gebe, wir wollen die brüderliche Liebe ehrlich untereinander pflegen, und keine Schlauheit des Satans soll dieses Band zerreißen. Zwar ich muss gestehen, als ich vor einem halben Jahr einen Brief deines Hausgenossen Hubert Languet las, hat es mich etwas verletzt, wie wenig freundliche, ja wie höhnische Äußerungen über meine Lehre er von dir berichtete. Seine Absicht war, dem Castellio zu schmeicheln und durch deine Zustimmung seine Wahnideen bestätigen zu lassen, die heutzutage von nichts an Verderblichkeit übertroffen werden. Doch kein Ärgernis soll je mein Herz von der heiligen Freundesliebe, die es für dich hegt, abwendig machen. Lebwohl, du klar leuchtendes Licht und edelster Lehrer der Kirche. Der Herr leite dich stets mit seinem Geiste; er erhalte dich lange gesund und mehre dir die Fülle allen Segens. Befiehl du dafür auch uns, die du den Wölfen in den Rachen geworfen siehst, dem Schutze Gottes. Meine Kollegen und eine zahllose Schar von Frommen lassen dich ehrerbietig grüßen. Ich hätte sehr gern wenigstens in einem kurzen Briefchen deinem lieben Schwiegersohn, Herrn Kaspar Peucer, der sich ebenso sehr durch seine Frömmigkeit und seine Geistesart als durch seine stilistische Gewandtheit auszeichnet, mein brüderliches Wohlwollen bezeugt und auch Euerm treuen, hoch geachteten Pfarrer, Herrn Paul Eber, die ich beide wegen ihrer Tüchtigkeit mit Recht verehre.
Genf, 19. November 1558.