Nr. 564 (C. R. – 2882)
Macards letzte Briefe hatten von schärfer werdender Verfolgung berichtet. Der „rote Löwe“ ist wohl der Kardinal von Lothringen, Charles de Guise, der Hauptfeind der Hugenotten. Der Schluss des Briefes fehlt.
Teilnahme am Geschicke der Pariser.
Mein Bruder, mein sehr lieber Bruder, wenn ich frei von aller Furcht und Sorge dich und deine Kollegen antreibe, die drohenden Kämpfe zu bestehen, so müsste Euch solches Geschwätz mit Recht kühl lassen, ja geradezu anekeln. Nun aber, da ich selbst ob Eurer Gefahr in Furcht und Zittern lebe und Euch so zum Gottvertrauen und zur Festigkeit ermahne, so wird dieser Brief Euch ein lebendiges Bild meiner Herzensstimmung geben und Euch mein innerstes Empfinden so darstellen, dass er Euch nicht anders berühren wird, als wenn ich in leiblicher Gegenwart alle Eure Sorgen teilte; und tatsächlich, wenn es zum äußersten kommen muss, so möchte ich lieber mit Euch zusammen in den Tod gehen, als solch ein Unglück für die Kirche überleben und betrauern müssen. Übrigens, was auch kommen mag, Ihr wisst es, auch wenn ich schweige, gut genug aus den Geboten unseres Meisters im Himmel, dass es hundertmal besser ist zu sterben, als furchtsam den Posten verlassen, auf den er Euch gestellt hat. Die böse Nachrede des Aufruhrstiftens, mit der die Bösen nicht nur Euch verletzen, sondern auch das heilige Evangelium Christi zu schmähen wagen, scheue auch ich. Aber da Ihr Euch durchaus bewusst seid, ungerecht von falschem Neide so beschuldigt zu werden, so müsst Ihr Euch eben auf das Zeugnis Eures unschuldigen Gewissens verlassen und mit Gleichmut und Ruhe die Verleumdung ertragen, der selbst der Sohn Gottes nicht entgehen konnte. Gut ist, dass, wenn Ihr ganz ruhig bleibt, die Wahrheit selbst, die bald aufleuchten wird aus der Finsternis, die Schmähungen der Feinde widerlegen wird. Denn wenn ein solches Gerücht drei Tage lang umher geboten worden ist, so fällt es in sich selbst zusammen, und die es aufgebracht haben, müssen beschämt schweigen. Sicherlich, so sehr der Vater und Anstifter aller Lügen, der Teufel, mit aller Macht sich müht, Euch unter einer Last des Hasses und der Schmach zu begraben, so wird er es doch nicht so weit bringen, dass nicht Gott in diesem weithin sichtbaren und bemerkenswerten Kampfe seinen Namen verherrlichen und aus der Dunkelheit den vollen Glanz seiner Ehre aufstrahlen lassen wird. Kein freimütiges, offenes Bekenntnis ist bisher zu des Königs Ohr gedrungen; entspricht aber der Ausgang den Anfängen, was zu hoffen ist, so wird, glaub´ es mir, selbst der rote Löwe erblassen. Ist in Eurer Herde große Furcht, so lasst Euch das nicht anfechten, sondern fahret ebenso ruhig wie energisch fort, der Zerstreuung entgegenzuarbeiten. Vielleicht wird uns bald wider alles Erwarten eine gewisse Erleichterung zuteil. Geschieht es aber, dass Eure Geduld noch mehr auf die Probe gestellt wird, da es der Vater im Himmel so beschlossen hat, so bleibt´ s doch fest bestehen, dass er treu ist und die Seinen nicht über das Maß hinaus versucht werden lassen wird. – –
[Mai 1558.]