Am 1. September 1552 fand vor dem Rat eine Auseinandersetzung zwischen Trolliet und Calvin über die Prädestination statt; dazu reichte nachher Trolliet eine Begründungsschrift ein, in der Calvin beschuldigt wurde, er mache Gott zum Urheber der Sünde, und ihm Melanchthons Lehre entgegengehalten wurde. Calvins Antwort ist nur um einen kleinen, unwichtigen Abschnitt gekürzt.
Ist Gott der Urheber der Sünde?
Erstlich, gnädige Herrn, wenn Trolliet seine Schrift nennt: Begründung der Disputation, die er gegen mich gehalten habe, so weiß ich nicht, worauf das geht und mit welchem Recht er das tut, als bloß etwa, um vor Unkundigen den Ruhm zu erwerben, er habe gegen Johannes Calvin disputiert. Dabei wissen doch Ew. Exzellenzen, wie der Vorgang war, dass er nämlich bestürzt verstummte und nichts antworten konnte als, er verstehe das nicht. So täte er gut, sich solcher Prahlereien zu enthalten, die ihn nur zu sehr dazu gereizt haben, Verwirrung und Händel anzurichten, die unnötig waren für ihn wie für andere. Denn wäre er bei der Bescheidenheit geblieben, die ihm nach seiner Begabung anstand, so hätte er diesen Zank nie begonnen.
Der Hauptpunkt ist, dass er dergleichen tut zu begründen, was er gegen mich vorbrachte, und dabei alles verdreht. Denn die Streitfrage, die am 1. September verhandelt wurde, war, dass er mir vorwarf, ich mache Gott zum Urheber der Sünde. Ich leugnete das und zwar mit Entrüstung, die ein solches Vorgehen verdiente; denn das wäre eine zu abscheuliche Gotteslästerung. Darauf bemühte er sich, es zu beweisen, indem er die Stellen [aus meinen Werken] anführte, die er auch in seiner Schrift zitiert. Der springende Punkt unserer Sache liegt also darin, ob ich Gott zur Ursache des Übels und der Sünde mache oder nicht, wie er es in Ihrer Gegenwart mehr als zehnmal behauptet hat. Und außerdem bestand gar keine Schwierigkeit in Hinsicht des ersten Punkts, [den er anführt]. Denn ich leugne durchaus nicht, was ich geschrieben habe, aber ich sage, wie müssen ein Grauen davor empfinden, das Wort Sünde auf Gott anzuwenden, da in ihm nichts ist als Recht und Gerechtigkeit, ja da er Wesen und Quelle der Gerechtigkeit ist. Deshalb wundere ich mich, dass Trolliet sich nicht geschämt hat, diese meine Aussage zu leugnen. Wie dem auch sei, – wenn er auf diese Leugnung beharrt, so fordere ich nach Recht und Vernunft, dass die gnädigen Herren geruhen wollen, Ihrem Schreiber vor dem Fortgang des Prozesses aufzutragen, mich davon in Kenntnis zu setzen. Denn ich kann und darf nicht dulden, dass ein solcher Schimpf mir angetan werde, ohne dass ich mich davon reinigen kann, wie es sich gehört.
Im Übrigen tut mir Trolliet in den Zitaten, die er aus meiner Instituio in seinem Bericht aufführt, schweres Unrecht, das es aus dem Zusammenhang gerissene, verdrehte Worte sind. Ja er mengt und mischt sogar unter das, was ich lehre, die Einwürfe, die in meinem Buch genannt sind als die der Lästerer. Er musste sich darüber ja schon sehr schämen, als ich ihm bewies, in der Art könne man St. Paulus vorwerfen, er habe Gott ungerecht genannt. Aber dass Trolliet nun in der gleichen Handlungsweise beharrt, ist unerträglich. So ist also, was er zitiert von der ersten Seite des Blatts 461 [der Institutio], schlecht angebracht und dem entgegen, was ich in Wirklichkeit sagen wollte, denn er häuft da an, was ich die Bösen sprechen lasse, um sie zu widerlegen und zu verurteilen. Doch bekenne ich durchaus, geschrieben zu haben, dass Gott den Fall Adams nicht nur vorausgesehen, sondern auch angeordnet hat, und halte es als wahr aufrecht, nicht ohne gute Gründe und Zeugnisse aus der heiligen Schrift. Mein Gegner rührt die Beweise, die ich bringe, nicht an, sondern sagt bloß, ich hätte übel geredet, bringt aber nichts vor zum Beweis, dass es so ist, als dass es ihm gefällt, so zu entscheiden. Urteilen Sie selbst, gnädige Herren, ob das billig ist.
Zum Zweiten: Wenn er mich anklagt, ich hätte geschrieben, der Mensch sei durch Gottes Anordnung und Willen zur Sünde genötigt, so wünschte ich, wie ich schon oft sagte, man legte mir nicht solche mönchische Ausdrucksweise bei, wie ich sie nie gebraucht habe. Tatsächlich haben nur Kaffern so schwatzen können nach ihrer Dummheit. Meine Lehre aber sollte doch so betrachtet werden, wie ich sie aufstelle. Ich bekenne, dass die Bösen aus Notwendigkeit sündigen, und dass diese Notwendigkeit nach Gottes Anordnung und Willen besteht; aber ich füge bei, dass trotzdem diese Notwendigkeit nicht in der Weise ein Zwang ist, dass der einzelne Sünder zu seiner Entschuldigung sagen könnte, er sei dazu gezwungen worden. Und ich kann diese Lehre aus der heiligen Schrift so gut und gehörig begründen, dass es allen Menschen auf Erden unmöglich wäre, zu widersprechen. Ich wundere mich, dass mein Gegner seine Feinheit nicht benutzte, mich in dem zu widerlegen, was ich vor Ihnen sagte, und dass er sogar die mehr als einleuchtenden Beweise mit Stillschweigen übergeht, die ich dazu in meinen Büchern vorbringe. Er sagt, er habe das Gegenteil aufrecht gehalten und meine Meinung wolle und könne er nicht billigen. Wäre er der weiseste Mann der Welt, so hieße das doch, sich zu viel Autorität anmaßen, dass man ihm glauben soll, wenn er einfach sagt, er wolle und könne dem nicht beipflichten, was man ihm vorschlägt. Umso weniger Grund hat ein Mann, der in der heiligen Schrift nicht geübt und überhaupt kein kompetenter Richter in theologischen Fragen ist, zu verlangen, dass man um seines einfältigen Kopfes willen die verwerfe, denen Gott die Gnade gegeben hat, etwas mehr davon zu verstehen. Wenn nun, hohe Herren, die Beweise, die Sie von mir gehört haben, Ihnen nicht genügen, so anerbiete ich mich, noch mehr zu erbringen, sofort, wenn Sie wollen. Im Übrigen berufe ich mich auf den Inhalt des Buches von der Prädestination und Vorsehung Gottes.
Zu den Widersprüchen, die Herr Trolliet erfunden hat: Mein Gegner meint, ich widerspreche mir selbst, wenn ich lehre, der Mensch habe die Ursache seiner Verdammnis viel mehr in seiner verdorbenen Natur als in der Prädestination Gottes zu suchen. Er sieht aber nicht, dass ich dabei ausdrücklich sage, dass die Verdammung zwei Ursachen hat, die eine, die verborgen liegt im ewigen Ratschluss Gottes, und die andere, die ganz offen vorliegt in der Sünde der Menschen. Da Trolliet nun bekennt, dass das wahr sei, so verurteilt er sich selbst mit eigenem Mund und eigner Unterschrift, und ich meinerseits nehme dies sein Bekenntnis gerne an, da es zeigt, dass er nie auch nur einen einzigen Punkt von der Frage verstanden hat, in der er so kühn mitredet. Der Knotenpunkt der ganzen Frage, gnädige Herrn, ist doch der: Ich sage, alle Verworfenen werden überführt von ihrem Gewissen, dass sie schuldig sind und so auch ihre Verdammnis gerecht, und dass sie Unrecht tun, wenn sie das übersehen, was ganz offen liegt, und dafür eindringen wollen in den geheimen Ratschluss Gottes, der uns unzugänglich ist. Trotzdem zeigt uns die Schrift wohl, dass Gott die Menschen vorausbestimmt hat zu dem Ende, zu dem sie kommen sollen. Warum und wie er das tut, können wir nicht wissen; denn es wird uns darüber nichts gesagt. – – –
In Beziehung auf die Zitate aus dem Werke Melanchthons bekenne auch ich, dass Gott nicht der Urheber der Sünde ist. Ja ich habe in besondern Schriften diesen Glaubenssatz so energisch festgehalten, wie man es von einem treuen Diener Gottes verlangen kann. So ist es ganz überflüssig, diesen Satz als Streitfrage zwischen uns aufzustellen. Doch bekenne ich freilich, wie ichs schon früher erklärt habe, dass die Lehrart Melanchthons von der meinigen abweicht. Ich habe Ihnen, hohe Herren, auch schon gezeigt, woher das kommt. Melanchthon, der ein ängstlicher Mann ist, hat sich, um nicht neugierigen Leuten Anlass zum Eindringen in Gottes Gemeinde zu bieten, nur zu sehr dem gesunden Menschenverstand anpassen wollen. So redet er deshalb mehr als Philosoph denn als Theologe in dieser Frage, was sich schon darin zeigt, dass er am Schluss keine bessere Autorität weiß, um seine Darstellung zu stützen, als Plato. Und da er seine Meinung deutlich als vermittelnde bezeichnet, so bedeutet das eben so viel, wie wenn er bekennte, in zwei Wassern zu schwimmen, was mein Gegner etwas mehr hätte betonen dürfen.
Übrigens, hohe Herren, wer uns beide, Melanchthon und mich in Gegensatz bringen will, tut uns beiden und überhaupt der ganzen Kirche Gottes schweres Unrecht. Ich ehre Melanchthon ebenso wohl um des ausgezeichneten Wissens, über das er verfügt, als um seines edlen Charakters willen, vor allem aber wegen seiner treuen Wirksamkeit zur Erhaltung des Evangeliums. Finde ich etwas an ihm, was Widerspruch fordert, so verschweige ich es ihm nicht, wie er mir auch volle Freiheit lässt, so zu handeln. Was nun ihn angeht, so sind Zeugen genug vorhanden, die wissen, wie er mich liebt, und ich weiß, er würde die verabscheuen, die ihn zum Vorwand nehmen, meine Lehre in irgendeiner Weise anzuschwärzen. Solche Leute suchen auch nichts anderes, als Unkraut und Ärgernis auszusäen, um das Evangelium in seinem Lauf aufzuhalten. Ich will mich nicht damit versäumen, die von meinem Gegner zitierten Stellen zu widerlegen, in denen Melanchthon keinen Gelehrten zufrieden stellt, in denen er mit allzu menschlicher Vorsicht ausweicht und sich nicht getraut zu sagen, was er für wahr erkannt hat, weil er fürchtet, es könnten nicht alle fähig sein, es zu hören. Ich könnte Ihnen Briefe von Melanchthons Hand vorlegen, in denen bewiesen war, was ich sage. Wenn aber meinem Gegner die Freiheit zugestanden würde, sich für die Seite zu entscheiden, die ihm besser gefällt, und beliebige Schlüsse über die Schriften gelehrter Leute abzugeben, so wären Sie seiner Gnade oder Ungnade ausgeliefert und müssten drei Sakramente annehmen, darunter die Beichte, weil es Melanchthon so hält. Ich sage das nur, damit Trolliet selbst sich besser kennen lernt und nicht mehr so sehr geneigt ist, ins Blaue hineinzuschwatzen.
Was mich angeht, hohe Herren, so bin ich in meinem Gewissen sicher, dass, was ich gelehrt und geschrieben habe, nicht in meinem Kopf entstanden ist; sondern von Gott habe ich es, und ich muss festhalten, wenn ich nicht zum Verräter an der Wahrheit werden will, wie ich bereits zur Genüge gesagt zu haben glaube. Falls es Ihnen gut scheint, bin ich zu weiterer Antwort bereit, bis mein Gegner überführt ist, mich zu Unrecht angeklagt zu haben, wider alle Wahrheit und Vernunft.
[6. Oktober 1552.]