Mahnung zu Vorsicht und Festigkeit.
Meistens geht es so, dass etwas Überflüssiges die Leser nicht nur langweilt, sondern sogar ärgerlich beiseite geworfen wird. Trotzdem habe ich das feste Zutrauen, dass Ihr, je weniger Ihr meine Ermahnung nötig habt, sie umso freundlicher aufnehmt. Denn wer freiwillig in die Laufbahn eines frommen Lebens eingetreten ist, der lässt sich nicht nur ruhig, sondern sogar gern noch zu weiterem anspornen. Dass es bei Euch so ist, das ist meine Überzeugung, und deshalb kann ich Euch unbedenklich zum Fortfahren ermuntern. Ich meine auch nicht, – um es einfach herauszusagen, worum es sich handelt – dass Ihr jetzt schon so munter weiter kommt, dass Ihr nicht noch von einem frommen Zuspruch Nutzen haben könntet; jedenfalls seid Ihr noch nicht so weit gekommen, dass Ihr nicht noch viel weiter streben müsstet. Wir müssen uns stets hüten, dass der kostbare Same, den wir empfangen haben, nicht erstickt wird oder ausartet; auch wenn wir täglich sorgfältig ausputzen; die Erfahrung lehrt uns, wie leicht die Dornen nachwachsen. Und wenn nun erst noch Nachlässigkeit dazukommt! Wenn nun erst vielfache Verführung von allen Seiten an uns heranschleicht! Das Allerschlimmste ist, wenn wir sie noch selbst herbeirufen. Ich sehe es in gewisser Beziehung, und Ihr spürt es selbst noch besser, wie viele Zerstreuungen sich einem aufdrängen in dem Leben, in dessen Strudel Ihr jetzt drin steht. Von diesem unruhigen, stürmischen Leben muss ich so sprechen, damit Ihr besonders eifrig und aufmerksam seid im Widerstand. Umso schwerer ist der Sieg, je größer die Gefahr ist, dass Ihr unbesorgt anderes treibt, darüber durch Satans List Christum vergesset, und das Euch dann in den Pfuhl der Welt hineinreißt. Behaltet stets das Wort des Paulus im Sinne: habe ein gut Gewissen, welches etliche von sich gestoßen und am Glauben Schiffbruch erlitten haben [1. Tim. 1, 19], damit wir nicht etwa auch für die andern ein Beispiel solch fruchtbaren Schiffbruchs werden. Freilich fürchte ich das von Euch nicht, aber weil wir nie zu vorsichtig sein können, so ließ mich meine Liebe zu Euch das nicht verschweigen. Wir sehen ja, wie heutzutage die meisten sich lustig machen und sozusagen ungestraft mit Gott ihren Spott treiben. Deshalb ist nichts besser, als dass jeder sich plötzlich aufrafft, darüber zu erschrecken, in sich geht und mit sich selbst Abrechnung hält. Und nun, wenn je in Euch einmal warme Begeisterung war, so dürft Ihr sie auch jetzt nicht matt werden lassen ob all dem Elend, das wir über die Kirche hereinbrechen sehen, so dass sie am Rand des Untergangs zu stehen scheint. Ihr müsst vielmehr dran denken, wie elend und gering dem Mose die Lage seines Volkes vorkommen musste, als er freiwillig auf Geld, Lust und Ehre der Ägypter verzichtete und der Genosse der Beschimpften und Geplagten wurde. Wenn wir nun auch nicht alle gleicher weise durch solche hohe Gesinnung uns auszeichnen, so sollen wir uns doch alle berufen fühlen, mit gleichem Eifer das ihm nachzutun. Mit diesen paar Worten möchte ich Euch zwar nicht vollständig beweisen, aber doch andeuten, wie sehr ich um Euer Seelenheil Sorge trage. Lebt wohl, Ihr trefflichen, edeln Jünglinge. Der Herr leite Euch stets mit seinem Geist und mache Euch mehr und mehr reich an geistigen Gütern, dass sein glorreicher Name durch Euch verherrlicht werde.
5. November 1548.