Wittenberg, 5. März 1546
Gottes Gnad rc. Wir sind aus vielen großwichtigen Ursachen sehr erschrocken und betrübt, daß der ehrwürdige Herr Dr. Martinus, unser lieber Vater und Lehrer, weggenommen wurde, da die ganze Christenheit sein noch länger bedurft hätte, und wir nun sind als die verlassenen einsamen Waisen. Wir müssen aber dem Willen Gottes gehorchen, und uns diese tröstliche Verheißung vorhalten, daß unser Heiland der Sohn Gottes gesprochen: „ich will euch nicht als Waisen verlassen,“ und: „ich bin bei euch alle Tage bis zu Ende der Welt.“ Darauf verlassen wir uns, und beten fleißig, daß der Sohn Gottes selbst sein Schifflein, nämlich die wahre einsame Kirche, regieren und erhalten wolle. Wir danken auch für E. C. F. G. Sorgfalt für die arme Christenheit, und Befehl, auf die Lehre Achtung zu geben. Wiewohl dieses Werk eine schwere Last ist, und viel schwerer, denn jemand gedenken kann, dennoch so erkennen wir uns dazu schuldig, wie Paulus zu Timotheo spricht: das schöne Kleinod, das dir zu treuer Hand befohlen, bewahre durch den heiligen Geist. Also hat uns wahrlich gedachter Herr Dr. Martinus ein schönes Kleinod und Beilage hinterlassen, den reinen Verstand christlicher Lehre; den wollten wir auch gern unverdunkelt auf die Nachkommen vererben: dazu uns Gott seine Gnade und heiligen Geist verleihen wolle. So wissen wir auch, daß Einträchtigkeit, Demuth und Geduld dazu von nöthen ist, dazu wir uns selbst und Andre vermahnen, und wollen durch Gottes Gnade also mit einander arbeiten, daß Keiner zu Zerrüttung Ursache geben wird. Doch sind diese große Sachen vornehmlich in Gottes Händen; den bitten wir wahrlich mit herzlichem Seufzen, daß er uns helfen und regieren wolle um seines Sohnes und seiner Ehre willen.
Quelle:
Auserlesene geistvolle Briefe Der Reformatoren und sonstiger bedeutender Männer der evangelischen Kirche Zur christlichen Erbauung und Belehrung von C.E. Renner, evangelischem Pfarrer. Stuttgart. C. Cammerer (früher H. W. Beck’s Verlag.) 1862