Die in diesem Brief erwähnten Händel beziehen sich auf die Pfarrer Treppereau und de l´ Eglise, die um diese Zeit abgesetzt wurden. Weggelassen sind Dinge, die sich auf Farels letzten Brief beziehen.
Von Schwierigkeiten in Genf.
Nun fange ich wieder an zu merken, was es heißt, in Genf zu wohnen. Ich muss auf unglaublich dornigem Wege wandeln. Schon zwei Monate lang waren unter den Kollegen ernste Händel, und nun ist es soweit gekommen, dass zwei von den vieren Meineidige sein müssen. Hätten sie wirklich begangen, wessen sie angeklagt werden, so wärs die größte Schande. Nach Ursache und Zeit waren es verschiedene Händel, so dass je zwei untereinander zankten. Da weder durch irgendwelche Zeugen, noch durch sichere Gründe die Wahrheit über die Sache ans Licht zu bringen war, so musste ich die Entscheidung in den Händeln selbst Gottes Urteil überlassen. Beide Streitigkeiten habe ich beigelegt. Was hätte ich anders tun sollen? Hätte man dabei beide Parteien hinausgeworfen, so wäre den Unschuldigen Unrecht geschehen. Auch wars nicht rätlich, ein solches Beispiel zu geben. Dabei fürchtete ich, dass, wenn die Sache unter die Leute käme, sie doch nicht abgesetzt würden, solang alles so ungewiss sei, unterdessen aber die Schmach auf unserm Stande sitzen bliebe. Aber siehe, auf einmal fängt ein gewisser Mensch an, einige Leute, bei denen er hier als Hausgenosse gelebt hat, als er noch Mönch war, und andere in ihrem Lebenswandel durch Wort und Schrift so herunterzureißen, dass uns nichts schimpflicher sein könnte, als wenn das weiter herumkäme. Ich berief die Kollegen zusammen. Ich ließ sie alle hart an, weil die ganze Geschichte ihnen allen zuzurechnen sei. Denn ich wusste, dass sie alle dem verrückten Menschen die Waffen verschafft hatten, so dass sie, gleichsam um den allgemeinen Brand von vorher zu löschen, jetzt alle einträchtig miteinander verschworen waren. Ich sagte dabei auch, Gottes Hand laste schwer auf uns; es sei die Strafe für die Meineide, die noch auf uns lägen, und es sei kein Wunder, wenn solcher Frevel und Gräuel wegen der Zorn des Herrn uns treffe, da er ja einst um eines Menschen Sünde willen über das ganze Volk Israel so heftig entbrannt sei [Jos. 7]. Ich verkündete ihnen auch, es werde kein Ende nehmen damit, bis unser Kollegium von den Gräueln, die es befleckten, gereinigt sei. Schließlich mahnte ich sie, es solle jeder in sich gehen und einsehen, dass er mit Recht gestraft werde. Aber weit entfernt davon, auf mich zu hören, dachten sie gleich an nichts anderes als an Rache, wenigstens einige. Jener ehemalige Mönch stand im Dienst zweier Brüder, die stark im Verdacht standen, um die Verleumdungsgeschichte zu wissen, ja dazu geholfen zu haben. Da gaben nun heimlich gewisse Leute an, der eine der beiden Brüder habe viele freche Worte gegen die Obrigkeit gesagt, und auch ein großer Teil der Ratsherren sei von seinen vielen Schmähworten getroffen. Du weißt, wie reizbar unser Rat ist, wenn an ihn gerührt wird. Sobald mir das gemeldet wurde, berief ich wieder alle zusammen, sagte ihnen zum voraus, was geschehen werde, und drohte, wenn die Sache ernst werde, so wolle ich gar nicht abwarten, bis auch ich noch in den Wirrwarr hineingezogen werde; sie würden dann, wenn ich weg sei, merken, ob ihre Schultern stark genug seien, diese Last zu tragen. Jener angegebene Edelmann wird ins Gefängnis geworfen. Um sich zu rechtfertigen, wälzt er die ganze Anklage auf unsern Kollegen Louis [Treppereau], eine Geschichte, die nicht anders als mit einem Todesurteil oder einer Verbannung zu Ende gehen kann. Der Gefangene hat mehrere Zeugen dafür, dass Treppereau gesagt habe, die vorjährigen Syndics seien absichtlich und wie vom Schicksal dazu geschaffen, dass man ihnen den Kopf abschlage, wenn sie etwas anstellten, und noch viel der Art.
Andrerseits fuhr unser Sebastian [Castellio], so wild er nur konnte, über uns her. Es waren gestern etwa sechzig Leute anwesend zur gemeinsamen Schrifterklärung. Es lag die Stelle vor: Lasset uns uns beweisen als Diener Gottes in großer Geduld usw. [2. Kor. 6, 4]. Da spann nun Castellio eine fortwährende Gegenüberstellung aus, um zu zeigen, wie überall ein Gegensatz sei zwischen uns und den Dienern Christi. So spottete er etwa in der Weise: Paulus sei ein Diener Gottes gewesen, wir dienten uns selbst. Er sei sehr geduldig gewesen, wie ebenso ungeduldig. Paulus habe nachts gewacht, um für die Erbauung der Kirche zu arbeiten; wir wachten, um zu spielen. Er sei nüchtern gewesen, wir trunksüchtig. Er sei geplagt worden durch Unruhen, wir machten Unruhen. Er sei keusch gewesen, wir seien Hurer. Er sei ins Gefängnis geworfen worden, wir würfen jeden hinein, der uns nur mit einem Wort verletze. Er habe gewirkt aus der Vollmacht Gottes, wir wirkten in einer andern. Er habe von andern leiden müssen, wir verfolgten die Unschuld. Was willst du mehr? Es war eine ganz blutdürstige Rede. Ich schwieg dazu, um nicht vor soviel Fremden einen größeren Zank herauf zu beschwören; aber ich habe mich bei den Syndics beklagt. Das war ja das Wahrzeichen aller Schismatiker [so zu reden]. Die Maßlosigkeit dieses Menschen zu unterdrücken, dazu treibt mich nicht nur sein taktloses Vorgehen und sein freches Schimpfen, sondern besonders die Verlogenheit der Verleumdungen, mit denen er uns verlästert hat. Da sieh, welche Nöte mich drücken! Damit aber meinem Unglück, oder besser meinen verschiedenen Unglücken, nicht noch etwas fehle, sind kürzlich die Gesandten Berns, Nägeli und der ältere Erlach, schwer beleidigt von hier abgereist, weil sie mit unserer Obrigkeit in der Grenzregulierung zu keinem Abschluss kommen konnten, was umso schändlicher ist, als sie ja um ein Nichts stritten. Und nun nennen mich gewisse ungeschickte Leute, wie ich höre, als den Friedensstifter auf den Gassen und tun durch ihren Eigensinn und ihren verrückten Trotz selbst dem Frieden, soweit er schon besteht, Abbruch. – –
Lebwohl nochmals, liebster Bruder. Grüße alle Brüder und dein Haus. Der Herr behüte Euch alle.
[Genf, 31. Mai.]
Dein
Johannes Calvin.