Agricola, Johannes an Melchior Klinge

28. Aug. 1540

Clarissimo atque doctissimo Viro Dn. Melchiori Klingo, Jureconsulto Vitebergensi Domino et amico patrio loco colendo suo.

Mein willige Dienst zuvor. Achtbahr und Hochgelahrter Lieber Herr Doctor, besonders guter Freund, ich bedancke mich eures Schreibens jüngst an mich gethan und will euch wiederum zur Antwort nit bergen, daß mich euer Schreiben einer Rede Doctoris Staupitii seliger erinnert hat, nemlich uns also Staupitius sagte, daß wenn der Mensch schliefe, so flöhen die Engel im Himmel und unser Herr Gott fragte einen ieden Engel, was thut Dein, dein, dein Mensche, es spräche dann der Engel, er hat gerne Geld, Ehre, Kleider, Essen, Trinken, Wahrheit, Lügen rc. So antworte unser Herr Gott, so gieb es ihm gnung. Also seyn vielleicht Leute unter euch, die gerne Lügen hören, darumb giebt ihnen Gott solcher zu hören gnung. Denn daß ich solte Sachsen oder ihre mitgewanten mit einem einigen Wort auf der Cantzell (wie die Lügen gehen) beschwert haben, das ist eine herrliche, dicke fette Lügen und daß ich sollte das Gebeth und Vater unser wider sie gericht haben, die Lügen ist noch größer et provoco ad auditorium. Das ist aber nicht an dem. Nachdem ich des Freytags, wenn ich zu Hause bin, den Psalter predige und lehre und für vier fünf Menschen ungefährlich den 7. Psalm ausgelegt habe, daß ich von Davids Geduld und Gehorsam wider Saul, Ahitophel, Simei und Andre, auch Absalom, wie er sie im Bündniß alleine durchs Gebeth, da er sich doch wohl hätte rächen mögen an Saul, da ihn Gott in seine Hände gab, entlich geschlagen und überwunden hat, viel und allerley geredt habe und sonderlich, daß kein ander remedium sey alles Unglück, das der Teufel anricht, zu überwinden, denn Gott die Rache zu befehlen und iedermann, wenn was mangelt, zu gleichem Exempel vermahnet, wie auch unter Esaia der Engel den Sanherig schlug rc. Ich lasse auch nicht nach in allen Predigten das Volk zu erinnern, wie wir nun fast 22 Jahr das Wort behalten, da sich doch die große Gewaltigen auf Erden dawider gelegt, nirgend anders mit denn durchs Gebeth. Derhalben obschon ietzt die Zeit ist, daß man schier nicht weiß, wer Koch oder Kellner, und ist ein Krieg und gein abgesagter Friede, item es sey das, davon der Deutschen Prophet geweissagt hat, daß uns in Deutschland entweder der Türcke oder wir selbst unter einander fressen werden, item im Büchlein wider den Türcken: der Bauern Aufruhr sey gestrafft, der Fürsten Aufruhr werde Gott auch straffen. So sollen wir doch gleichwohl am Gebeth nicht laß noch faul werden und bin ungezweifelt, wo wir hitzig beten werden, Gott werden Wege wissen und finden unangesehen diesen Stern der am Himmel steht, daß alles gerade besser, denn wir gemeynet haben, zu Erhaltung seines Worts, Evangeliums, Friedens und Rechtens in deutscher NAtion umb unser lieben Jugend willen, die solches Friedens wohl bedürfen wird. Iterum provoco ad auditorium. Darumb lassen uech auf keine andre Weise bewegen, es werde mit rother oder blauer Dinte geschrieben, auf daß unser Herr Gott zum Engel nicht sage: Dieweil Dein Mensche gerne Lügen hört, so gieb ihm gnung. Das habe ich euch als meinem besondern günstigen Herrn und Freunde zum wahren beständigen Bericht, dem ich zu dienen geneigt, zur Antwort nicht vorenthalten wollen, darnach ihr euch zu richten, und thue hiemit, was euch lieb und dienstlich. Datum zu Berlin den Sonnabend nach Bartholomöi im 1540. JAhre.

Ew. W. Johann Agricola Isleben.

Zeitschrift für die historische Theologie
herausgegeben von Dr. theol. Christian Wilhelm Riedner
Einunddreißigster Band.
Neue Folge. Fünfundzwanzigster Band.
Gotha.
Friedr. Andr. Perthes.
1861