Gnade und Friede in Christo. Es hat euch, wie ich höre, sehr bewegt, lieber Michael, daß ich mit eurer Rechnung nicht bin zufrieden gewesen, da ihr doch meine aufrichtige Liebe gegen Euch wisset. Zudem habe ich ja allezeit gesagt, naß ich nicht sowohl anderer Meinung sei, als vielmehr, daß ich nicht einsehe, was ich auch jetzo noch gar nicht einsehe und begreife. Denn wozu dienete euch oder mir jene falsche Bejahung? Wenigstens vermutbete ich nicht, daß ihr durch solche gleichgültige Sache so würdet bewegt werden. Denn wenn der jüngste Tag vor Michaelis erscheinen wird, sündigt ihr nicht, die ihr das glaubt und sagt. Kommt er nicht, so haben wir nicht Sünde, die wir glauben, er könne jede Stunde kommen. Denn wer da glaubt, er könne jede Stunde kommen, der nimmt auch an, daß er vor Michaelis kommen könne. Was quält ihr euch demnach einer Sache halber, die auf beiden Theilen ohne Gefahr geschieht. Das sage ich euch, daß euer Unwille den Verdacht mir mehrt, es möchte der Satan euer begehren, euch zu sichten. Derhalben bitte ich, wollt mit Ablegung eures Unwillens zu uns kommen und unsre alte Freundschaft nicht verlassen, noch ändern. Gehabt euch wohl in Christo. Wittenberg, am 26. Juni des Jahres 1532.
Quelle:
Hase, Carl Alfred – Luther-Briefe in Auswahl und Uebersetzung für die Gemeinde herausgegeben Leipzig, Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1867