Oekolampad, Johannes – Brief an Fracht und Sam über den Tod Zwingli’s.

Meinen vielgetreuen Brüdern, Martin Fracht und Konrad Somius, den Predigern in Ulm. 1531.

Seid mir in Christo gegrüßt! Ich kann nicht verhehlen, allerliebste Brüder, was ich in menschlicher Schwachheit zu leiden hatte, als mir die Kunde zukam, unser Zwingli sei in der blutdürstigen Feinde Hände gefallen und auf so schreckliche Art zerrissen worden; mir wohl bewußt, zu welcher Freude der Welt, zu welcher Entmuthigung der Kleingläubigen dieses Gerücht sich ausbreitet. Indessen tröstete ich mich selber wieder, obgleich Schlag auf Schlag bald neues Unglück folgte. Ist doch Er nicht alleingefallen, sondern mit ihm eine gute Zahl vortrefflicher Männer1)! Und es ist nicht bei einer Niederlage geblieben; eine zweite folgte, der Flucht halber nach schmachvoller als die erste. Doch ich gedachte des Wechsels, dem ja alle Dinge dieser Welt unterworfen sind. Diese Sterblichen hätten von einer Pestilenz oder einem andern Mißgeschick weggerafft werden können. Sie sind uns nur vorausgegangen, wir werden folgen, wenn auch in anderer Todesart.

Was der große Haufen darüber urtheilt (wenn’s niemand Anders irre macht), das würde keinen Eindruck auf mich machen; denn jener Männer Treue gegen Gott und die Menschen ist mir bekannt, und diese läßt es ihnen nicht übel ergehen. Aber wenn ich an die Verläumdungen denke, womit die Arglosen umstrickt und beschwert werden, so schmerzt es mich nicht wenig, daß Schutzreden keine Ohren finden, Verlästerungen aber so viele. Ist denn unserer Brüder Tod an sich etwas Ehrwidriges? In der Schweiz ist es gar nichts Ungewöhnliches, daß unter dem Hauptbanner, selbst in Waffen, auch die höchsten Priester mit ausziehen. Und unser Bruder ist nicht ausgezogen als ein Feldhauptmann, sondern als ein guter Bürger und bester Hirte, der da nicht gezögert hat, mit den Seinen zu sterben. Wo hat Einer seiner Schmäher und Verkleinerer auch nur den hundertsten Theil eines so edeln Geistes! Dann ist er nicht gerade mit besonderer Lust ausgezogen; sondern sein Ansuchen, noch eine Weile zu Hause bleiben zu dürfen, wies der Rath ab. Er hat das Unglück vorausgesehen und vorausgesagt, auch waren Solche, die ihn ungestüm fortdrängten und mitrissen, unter ihnen Verräther, die ihm Feigheit vorwarfen, wenn er zurückbliebe. Zudem war Zwingli, wie in anderen weltlichen Künsten, in dem Kriegswesen gar nicht ungelehrt. Man sagt aus, er habe selbst von der kanzel herab vom Frieden abgerathen; darüber wird sich aber nicht wundern, wer die Sitten der Feinde kennt, wie wenig sie Friedensbitten Gehör geben.

Noch war ihr Absagebrief im Rathe nicht verlesen, stürmten sie schon aus Hinterhalten in das Zürchergebiet und griffen an, wo man noch gar nichts gefürchtet hatte. Das ist ihre Bundestreue, die da geworden sind vom päbstlichen Gelde, und alle Bünde und Verträge der Väter verachten und mit Füßen treten! Als von mehreren Seiten her der Wunsch gestellt wurde, er möchte mit mehr Nachdruck die Regierung an ihre Pflichten mahnen, so habe ich nach unserer Freundschaft mehr als einmal ihn gerade abgemahnt, er solle sich nicht in Dinge mischen, die mit dem Evangelium wenig zu thun haben. Er schrieb mir wieder: Dir sind des Volkes Sitten nicht wohl bekannt; ich sehe ein Schwert und werde thun, was einem treuen Trabanten obliegt; unüberlegt handle ich nicht. Das sind die letzten Worte, die er mir geschrieben hat.

Mag sein wie es will, der Eifer zu ungemessen, zu ungestüm; warum schilt man Die nicht, welche die wuthentbrannten Fürsten haben so blutgierig wüthen machen gegen das rebellische Landvolk, von dem Viele konnten gerettet werden? Sein Wunsch ist es nie gewesen, daß die Sache zum Blutvergießen käme. Aber so war einmal seine Ueberzeugung, und sollte er auch noch so groß geirrt haben (was ich noch nicht gesagt haben möchte, obschon ich ihm nicht völlig beipflichten kann), so ist er um dessen willen doch nicht der Schlechteste der Sterblichen. Die Schlechtesten waren es auch nicht, auf die der Thurm von Siloah fiel, und deren Blut Pilatus mit ihrem Opfer vermischte. Was ist bekannter, als daß das Gericht mit dem Hause anfängt? Der Vater züchtigt die Söhne, die er liebt; wie auch die Verläumder und Lehrer der Verzweiflung die Sache auslegen mögen. Die Demüthigung unseres Sinnes und das Vertrauen auf Gott, nicht auf unsern fleischlichen Arm, verdienen, nicht für die geringsten Güter angesehen zu werden. Dieses Beides lernen die Auserwählten aus diesem Unglück. Möchten doch unsere Beschimpfer bedenken, was den Ammonitern, Palästinensern, Tyriern und Idumäern zu Theil geworden ist, nachdem sie über das verwüstete Jerusalem frohlockt hatten. – Es konnte von Jenen keine Billigkeit erlangt werden; Nothdrang, nicht Kriegslust, führte zum Kampfe. Ihre Tyrannei ist unerträglich und verloren wären wir Alle, wenn sich die Unsrigen nicht widersetzt hätten. Es handelte sich um die Sache aller evangelischen Gemeinwesen. Nun haben jene wackern Männer für Euch und für uns ihre Leiber als ein Bollwerk hingeworfen. Und hat jetzt der himmlische Vater Züchtigung über uns ergehen lassen, so sollen wir des Herrn Zorn zu tragen wissen; denn er wird nicht ewiglich zürnen. Noch ist indessen der Muth der Unsrigen nicht vollends gebrochen. Gewiß wollen die Basler mit den Zürchern und mit den Bernern von jenen keinen schimpflichen Frieden annehmen. Wir flehen zu Gott, daß er uns die Furcht vor dem Feinde benehme und seinen Frieden schenke u.s.w. –

Lebet wohl! 8. November 1531.

Quelle:
Baslerische Stadt- und Landgeschichten aus dem Sechszehnten Jahrhundert. Von Dr. Buxtorf-Falkeisen. Basel. Schweighauserische Verlags-Buchhandlung. (Hugo Richter.) 1868.