Luther, Martin – An Philipp Melanchthon. (Erster Brief von der Wartburg)

An Philipp Melanchthon, Prediger des Evangeliums (Evangelisten) an der Kirche zu Wittenberg, seinen in Christo geliebtesten Bruder.

Jesus.

Heil! Du aber, mein Philippus, was machst du indessen? Betest du nicht für mich, daß dieser mein verborgener Aufenthalt, in den ich ungern willigte, etwas Bedeutendes zum Ruhme Gottes bewirke? Und so wünsche ich zu wissen, wie du damit zufrieden bist. Ich besorgte, es möchte scheinen, als fliehe ich aus dem Streit, und doch stand kein Weg offen, auf dem ich denen, die es wollten und riethen, hätte widerstehen können. Ich wünsche nichts mehr, als der Wuth der Feinde zu begegnen und den Hals vorzuhalten.

Indem ich hier sitze, stelle ich den ganzen Tag die Gestalt der Kirche vor mich, und sehe jenes im 89. Psalm (V. 48): warum willst du alle Menschen umsonst geschaffen haben? O Gott, welch ein schreckliches Gespenst des Zorns Gottes ist jenes gräuliche Reich des römischen Antichrists! Und ich verabscheue meine Härte, daß ich nicht ganz in Thränen zerfließe, und mit Bächen derselben beweine die erwürgten Kinder meines Volks. Aber es ist Niemand, der sich aufmacht und Gott hält, oder sich zur Mauer stellt für das Haus Israel, in diesen letzten Tagen des Zornes Gottes. O ein würdiges Reich des Papsts für das Ende und die Grundsuppe der letzten Zeiten. Gott erbarme sich unser.

Darum sei du Diener des Worts indessen daran, und befestige die Mauern und Thürme Jerusalems, bis sie auch über dich herfallen. Du erkennst deinen Beruf und deine Gaben. Ich bete einzig für dich, wenn mein Gebet etwas vermag, wie ich hoffe. Thue mir nun ein Gleiches, und laßt uns diese Last mit einander tragen. Wir stehen allein noch im Felde: sie werden dich nach mir suchen.

Spalatin schreibt, es werde ein so grausames Edikt1) gedruckt, daß sie bei Gewissensgefahr die Welt über meinen Schriften ausfragen wollen, daß sie ja bald zu Grunde gehen. Es freut sich der Dresdner Roboam2), und begehrt dringend, solches zu vollziehen: man habe auch dem Kaiser zugesetzt, an den dänischen König zu schreiben, daß er die Ueberbleibsel der lutherischen Ketzerei nicht aufnehme, und sie singen: wann wird er umkommen und sein Name vergehen? Hartmann Cronenberg kündigte dem Kaiser den Sold von 200 Dukaten auf und will dem nicht dienen, der die gottlosen Leute hört. Ich glaube, dieses Edict wird nirgends sonst wüthen, als unter jenem Roboam und dem andern eurem Nachbar3), welche die eitle Ehre plagt. Gott lebt und herrscht in alle Ewigkeit. Amen.

Der Herr schlug mich mit heftigen Schmerzen im Unterleib: der Stuhlgang ist so hart, daß ich ihn mit vieler Gewalt bis zum Schwitzen auspressen muß, und je länger ich damit verziehe, desto mehr verhärtet er sich. Gestern hatte ich seit vier Tagen einmal Oeffnung, daher ich auch die ganze Nacht nicht schlief, und noch keine Ruhe habe. Bete doch für mich, denn dieß Uebel wird unerträglich werden, wenn es fortgeht wie es angefangen hat.

Der Kardinal von Salzburg begleitete am Abend vor Phillppi und Jakobi, das ist vier Tage nach der Abreise von Worms Ferdinand zu seiner Braut nach Innsbruck. Es heißt, Ferdinand habe dieser Begleiter nicht gefallen, aber auch dem Kaiser, wie Spalatin schreibt. Doch lies selbst seinen Brief. Schreibe Alles, was bei Euch vorgeht, und wie sich Alles verhält, und lebe mit deinem Fleisch wohl. Sonntag Exaudi 1521 im Lande der Vögel (d. i. Wartburg). Dein M. Luther.

 

1) Das kaiserliche Edikt vom 8. Mai
2) Herzog Georg
3) Kurfürst Joachim von Brandenburg

 

Quelle:
Auserlesene geistvolle Briefe Der Reformatoren und sonstiger bedeutender Männer der evangelischen Kirche Zur christlichen Erbauung und Belehrung von C.E. Renner, evangelischem Pfarrer. Stuttgart. C. Cammerer (früher H. W. Beck’s Verlag.) 1862