Luther, Martin – An Andreas Carlstadt (14.10.1518)

Glück und Seligkeit, achtbarer Herr Doctor. Nehmt wenig für viel, denn die Zeit drängt mich dazu: auf ein andermal will ich euch, auch andern Leuten mehr schreiben. Diese drei Tage über ist meine Sache in einem sehr harten Stand gestanden, also, daß ich gar keine Hoffnung hatte wiederum zu euch zu kommen, und daß ich mich nichts gewissers denn des Bannes versah. Denn der Legat wollte in alle Weg, ich sollte nicht öffentlich disputiren; so wollt er mit mir allein auch nicht disputiren, und rühmt sich allezeit, er wolle nicht mein Richter sein, sondern in allen Sachen väterlich mit mir umgehen. Aber nichts desto weniger wollt er nichts anders von mir hören, denn diese Worte: Ich widerrufe und bekenne, daß ich geirrt habe. Welches ich nicht habe wollen thun. Aber am allermeisten ist über diese zwei Artikel gefochten worden. Zum ersten, daß ich gesagt hab, daß der Ablaß nicht sei der Schatz des Verdienstes unsers lieben Herrn und Seligmachers Christi. Zum andern, daß ein Mensch, der zu dem allerhochwürdigsten Sacramente gehen will, glauben müsse.

Nachdem nun der Legat alle Sachen allein mit Macht und Gewalt trieb und handelte, habe ich heute erst auf vieler Leute Fürbitte erlangt mir zu gestatten meine Antwort in Schrift zu stellen. – Auch ist meine Meinung, so der Legat sich unterwindet mit mir mit Gewalt zu verfahren, so will ich meine Antwort über benannte zwei Artikel ausgehen lassen, damit die ganze Welt sein Unweis und Ungeschicklichkeit in dieser Sache vermerken möge. Denn wahrlich, es fließen aus seiner Meinung viel ungereimte und ketzerische, Sätze und Meinung. Er ist vielleicht ein namhaftiger Thomist, aber ein undeutlicher, verborgener, unverständiger Theologus oder Christ und derhalben diese Sache zu richten, erkennen und urtheilen eben so geschickt als ein Esel zu der Harfen. Derwegen auch meine Sache in solcher Fährlichkeit steht, daß sie solche Richter hat, welche nicht allein Feinde und ergrimmt sind, sondern auch unvermöglich die Sache zu erkennen und zu verstehen. Aber wie dem allen sei, so regiert und lebt Gott der Herr, welchem ich mich und alles das Meine befehle und zweifle nicht, mir werde durch etlicher gottesfürchtiger Lerne Gebet Hülfe widerfahren; wie ich mich schier lasse dünken, als geschehe Gebet für mich.

Aber ich komme entweder wiederum zu euch unverletzt, oder aber ich wende mich an einen andern Ort verbannt; so gehabt euch wohl. Haltet fest und erhöhet Christum getrost und unverzagt.

Ich habe aller Menschen Gunst und Beifall, allein ausgenommen vielleicht den Haufen, der es mit dem Cardinal hält: wiewohl der Cardinal mich auch stets sein lieben Sohn nennt und meinem Vicario zusagt, daß ich keinen bessern Freund hab, denn ihn. Das weiß ich, daß ich der allerangenehmste und liebste wäre, wenn ich dieß einig Worte spräche revoco, das ist, ich widerrufe. Aber ich will nicht zu einem Ketzer werden mit dem Widerspruch der Meinung, durch welche ich bin zu einem Christen worden; eher will ich sterben, verbrannt, vertrieben und vermaledeiet werden.

Gehab dich wohl, mein liebster Herr, und zeige diese meine Schrift unsern Theologis, dem Amsdorf, dem Philippo und den Andern, damit ihr für mich, ja auch für euch bittet. Denn allhie wird gehandelt eure Sache, nämlich des Glaubens an den Herrn Jesum Christum und an die Gnade Gottes. Gegeben zu Augsburg, an St. Calixten Tag (14. October) 1518.

Euer Bruder Martin Luther Augustiner.

Quelle:
Hase, Carl Alfred – Luther-Briefe in Auswahl und Uebersetzung für die Gemeinde herausgegeben Leipzig, Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1867