Luther, Martin – An Georg Spalatin, Chursächsischen Hofprediger (1514)

Friede sei mit dir, ehrwürdiger Herr Magister Georg! Mein Bruder Johann Lange bat mich in Deinem Namen, zu eröffnen, was ich von der Sache des unschuldigen und sehr gelehrten Johann Reuchlin wider seine kölnischen Gegner halte, ob Gefahr des Glaubens oder Aergernisses dabei wäre. Du weißt ja aber, mein lieber Magister, daß ich den Mann uach sehr liebe und hochhalte, und mein Urtheil wird also, weil ich, wie man sagt, nicht frei und unpartheiisch ibn, verdächtig sein. Doch sage ich, wie ich’s denke: daß ich nehmlich in seinem ganzen geschriebenen Rath nichts Gefährliches sehe.

Ich wundere mich aber sehr über die Kölner, was sie doch so Verworrenes, ja UEberverworrenes und Räthselhaftes in einer so deutlichen Schrift suchen, da er so oft hochfeierlich versichert und betheuert, daß er keine Glaubensartikel, sondern nur seinen Rath und seine Ansicht schreibe. Welche zwei Dinge ihn dergestalt bei mir von dem großen Aberglauben frei machen, daß, wenn er gleich aller Ketzereien Schlamm in seinen Rath zusammengehäuft hätte, ich ihn doch für ganz rein und lauter in seinem Glauben hielte. Denn wenn dergleichen Betheuerungen und bloße Meinungen nicht von Gefahr frei sind, so muß man fürchten, daß solche Glaubensrichter (Inquisitores)endlich anfangen Kameele zu verschlingen und Mücken zu säugen, und die Rechtgläubigen, obwohl sie Alles versichern und betheuern, zu Ketzern machen.

Was soll ich aber davon sagen, daß sie den Beelzebub austreiben wollen, aber nicht durch den Finger Gottes? Darüber seufze und klage ich öfters. Weil wir Christen angefangen haben, von außen klug und zu Hause thöricht zu sein, so gibt es hundertfältige ärgere Gotteslästerungen durch alle Gassen Jerusalems, und Alles voll von geistlichen Götzen. Und da man diese mit allem Fleiß beseitigen muß, als innerliche Feinde, so lassen wir doch das Alles, was uns am Meisten anliegt, und wenden uns zu auswärtigen und fremden Sachen, Alles aus des Teufels Trieb, der uns beredet, daß wir das Unsrige verlassen und das Fremde doch nicht bessern.

Läßt sich, ich bitte, auch etwas Thörichteres und Unverständigeres denken, als dergleichen Eifer? Haben denn die armen Kölner nicht in der Kirche wilde und wüste Sachen, wo sie ihre Wissenschaft, ihren Eifer und ihre Liebe erzeigen können, daß sie dieselben von so weiten Enden her, da man gar nicht unseres Sinnes ist, herholen müssen? Aber was thue ich? Mein Herz ist voll solcher Gedanken mehr, als die Zunge sagen kann. Ich schließe endlich also, da durch alle Propheten verkündigt ist, daß die Juden Gott und ihren König Christum verfluchen und lästern werden, und wer dieß nicht liest oder versteht, die Theologie nicht gesehen haben muß, so glaube ich, daß die Kölner die Schrift nicht auflösen können; denn also muß es gehen, und die Schrift erfüllt werdne. Und wenn sie die Juden von Gotteslästerungen freisprechen wollen, so werden sie machen, daß die Schrift und Gott lügenhaft erscheinen. Aber sei überzeugt, daß Gott wahrhaftig bleiben werde, ob auch tausend mal tausend Kölner dawider strebten und trotzten. Denn das wird allein Gottes Werk sein, der von innen wirkt, nicht der Menschen, die von außen nur mehr spielen, als wirken. Wenn man die Dinge von ihnen nimmt, werden sie noch schlimmere fertigen. Denn sie sind dergestalt durch Gottes Zorn in verkehrten Sinn dahingegeben, daß sie nach dem Prediger unverbesserlich sind, und ein jeder, der Zucht haßt, wird durch die Züchtigung ärger, und nie gebessert. Lebe wohl im Herrn, und schweige; bete aber für meine sündige Seele bei dem Herrn. Gegeben heute aus unserem Kloster.

Dein Bruder M. Luther.

Quelle:
Auserlesene geistvolle Briefe Der Reformatoren und sonstiger bedeutender Männer der evangelischen Kirche Zur christlichen Erbauung und Belehrung von C.E. Renner, evangelischem Pfarrer. Stuttgart. C. Cammerer (früher H. W. Beck’s Verlag.) 1862