Johannes Brenz an Georg Major

„Ich danke dir, dass du mir in diesen Kriegszeiten so manchen Trost zusendest durch deine Briefe und frommen Büchlein. Ach, dass der Ausgang dieses Krieges wäre so glücklich gewesen, als wir gehofft hatten. Es wären nicht so viele fromme Leute so großen Gefahren ausgesetzt worden und ich selbst wäre kein Vertriebener. Aber weil es der Herr für jetzt anders beschlossen hat, so wollen wir uns unter seinen Willen beugen. Nach dem Abzug des verbündeten Heeres, nachdem der Kaiser Nördlingen, Dinkelsbühl und Rottenburg wieder in seiner Gewalt hatte, mussten auch unsre Bürger sich ergeben. Der Kaiser kam gnädig zu uns, und weil mein Haus, sowie die Häuser der übrigen Kirchendiener, nach dem Herkommen von der Beherbergung der Soldaten frei waren, so glaubten wir unsre Sachen und Schriften nirgends sicherer, als in unsern eignen Häusern, wie denn auch andre Leute Habseligkeiten bei uns niederlegten. Allein gleich beim Einzug des Kaisers drangen, während ich von Haus abwesend war, einige Trabanten in unsre Gasse und brachen überall die Türen auf, wo man sie ihnen nicht öffnete. Als ich nach Haus kam, sah ich, dass gerade die Trabanten mit Händen und Füßen, ja mit Hellebarden gegen die Türe meines Hauses stießen. Einer von ihnen, der mich für den Besizer des Hauses hielt, setzte mir die Hellebarde auf die Brust und drohte, mich zu durchbohren, wenn ich nicht sofort öffnen würde. Ich öffnete und sie folgten mir, ich weiß nicht wie viele. Ich setzte ihnen vor zu essen und zu trinken, was ich hatte. Indessen warf ich meine Schriften und Briefe in die mit Schlössern versehenen Pulte. Als nun die Trabanten anfingen zu lärmen, schickte ich die Meinen aus dem Hause und folgte ihnen bald nach, indem ich das Haus mit allen Gerätschaften den Trabanten überließ. Tags darauf kam ein spanischer Bischof mit seinem Gefolge und seinen Eseln, jagte die Trabanten hinaus und nahm selbst Besitz von meinem Haus, das ich jetzt nicht mehr betreten durfte. Der Bischof machte sich alsbald über meine Bibliothek her, ließ die Schreibpulte aufbrechen und fing an, alle Papiere und Briefe, von denen er einige auf den Boden warf, zu durchsuchen. Unter diesen fand er auch mehrere Briefe von Freunden an mich und die Konzepte einiger von mir über den gegenwärtigen Krieg geschriebene Briefe, die mich in die größte Gefahr brachten, außerdem einige Predigten über den Krieg: dass nämlich die Verteidigung nicht ungerecht und keine Verletzung des Glaubens sei; denn wir könnten sonst Gott in diesem Kriegszug nicht um Hilfe anrufen, was ich der Gemeinde auseinandersetzen musste. Die Sache wurde an den Kaiser gebracht, und zwar, wie es so zu gehen pflegt, entstellt und vergrößert. Die Gefahr nötigte mich, zuerst Schlupfwinkel in der Stadt aufzusuchen. Da aber der Rat mich nicht schützen konnte, so drangen meine Freunde in mich, die Stadt zu verlassen, um mir und ihnen aus der Not zu helfen. Denn so weit war es gekommen, dass sich auch die Bürger meinetwegen fürchten mussten, und mir und meiner Familie in der ganzen Stadt kein andrer Schlupfwinkel blieb, als ein sehr enger Raum. Da habe ich erfahren, was es heißt: Du hast meine Bekannten ferne gemacht von mir rc. Ich verließ daher die Stadt am Johannisabend und ließ mein Weib und meine sechs Kinder mit aller meiner Habe, die ich schon für verloren achtete, zurück. Ich hatte fremde Kleider an, und zwar mehr schmutzige Lumpen, irrte die ganze Nacht auf den Feldern umher, nur mit einem Begleiter und kaum gegen die heftige Kälte geschützt. Du kannst dir denken, dieses Herumirren war mir bitterer als der Tod. Bald war es der Gedanke an die Gefahren der Meinigen, bald an die meiner Freunde und an die Not, die ihnen die bei mir vorgefundenen Briefe verursachen könnten, bald der an die Konfiskation meines zwar nicht großen, doch immer einige Zeit zum Unterhalt meiner Familie hinreichenden Vermögens, der mich quälte. Wurde mein Vermögen eingezogen, so wusste ich wohl, in welches Elend das meine Familie stürzen musste. Außerdem musste ich besorgen, den Spaniern in die Hände zu fallen, die in der Nachbarschaft und auf den Feldern, durch die ich gehen musste, herumlagen. Du wirst fragen, warum ich die Briefe nicht verbrannt oder an einen sichern Ort gebracht habe? Antwort: Ich dachte nicht, dass es in meinem Hause Gefahr haben könnte, da es keine Soldaten beherbergen durfte. Und ich hebe dergleichen auf wie einen Schatz. Aber wie? Es ist gewiss nichts ohne den Willen des Herrn geschehen. Und doch steht in den schriftlichen Sachen nichts, was nicht die reinste Wahrheit wäre und sich vor einem billigen Richter verteidigen ließe. Aber freilich, wo ist Billigkeit im Krieg? Sollte das unglückliche Ereignis mir zugerechnet werden, so hatte auch David nicht recht, dass er auf der Flucht bei Abimelech einkehrte und Anlass gab, dass so viele Leute getötet und die Stadt zerstört wurde (1. Sam. 21). Dazu kam noch ein andres Unglück. Du hast mir ein Büchlein geschickt mit dem Titel: Declaratio Caroli ad Barum etc. Dieses kam nicht zuerst an mich, sondern, ich weiß nicht wie, an die Edelleute und andere in der Nachbarschaft, die unsrer Stadt nicht hold sind. Diese ließen es endlich wohl durchlesen und nicht wenig beschmutzt in meine Hände kommen, und streuten bei dem Heer des Kaisers aus, es sei eine Schrift voll Schmähungen und Lästerungen in die Stadt geschickt worden, um da durch den Druck bekannt gemacht zu werden. Als nun meine Mitbürger den Kaiser um Gnade baten, war der Hauptvorwurf, der ihnen gemacht wurde, dass sie den Druck solcher Schmähschriften gegen den Kaiser erlauben: sie hätten verdient, dass man die Stadt niederreiße. Da jedoch das Büchlein weder bei uns gedruckt wurde, noch jene überhaupt darum wussten, so erhielten sie Verzeihung. Du siehst also, selbst dein Büchlein wäre beinahe Anlass geworden zur Verheerung der Stadt. O Himmel und Erde, was sind das für Zeiten und was wird noch über die Welt ergehen! Doch ändert der Kaiser die Religion noch nicht in den zu Gnaden angenommenen Städten, tut auch den Kirchendienern nichts zu Leid, und auch ich wäre wohl nicht in diese Gefahr gekommen, wenn sie mir nicht durch meine sehr mäßigen Predigten und meine Gebete um Sieg für die Unsrigen wäre bereitet worden. Denn wir haben öfters die Formel gebraucht, welche Dr. Pomeranus oder Philippus vorgeschrieben hat. Ich habe dir dies alles umständlich geschrieben, damit du dir das Schicksal deines unglücklichen Freundes, der in seinem höhern Alter noch als ein Vertriebener herumirren muss, in deinen Gebeten vor dem Herrn empfohlen sein lässt. Dem Philippus wollte ich nicht schreiben, um nicht zu dem Übermaß von Kummer, das, wie ich weiß, ihn dermalen drückt, auch noch den um mein Elend hinzuzufügen. Mein Mut ist allerdings durch Gottes Gnade noch ungebrochen. Wenn mich aber nicht das Schicksal der Meinigen denn um sie bin ich sehr besorgt bekümmerte, so müsste ich von Eisen sein, und wie könnte ich sonst den Herrn um die Rettung anflehen. Ich bin entblößt von aller menschlichen Hilfe und weiß nicht, wohin ich mich wenden soll. Aber ich zweifle nicht, je mehr ich zerschlagenen und demütigen Herzens bin, desto näher ist mir der Herr, der allem noch einen glücklichen Ausgang verleihen wird. Ich werde auch ferner noch tragen können, was mir zugeschickt wird. Bitte du den Herrn Philippus (Melanchthon), dass er auch für mich zu Gott bete. Ich hätte auch dann dem Dr. Joachim Camerarius geschrieben, aber ich weiß nicht, ob man Briefe mit Sicherheit abschicken kann; denn nachdem das Heer von uns abgegangen war, hörten wir, Herzog Moritz belagere Wittenberg, und die hohe Schule sei von Herrn Philippo und dir nach Magdeburg verletzt worden. Indessen wissen wir über die hessischen und sächsischen Angelegenheiten nichts Gewisses. Du wirst mir daher einen angenehmen Dienst erweisen, wenn du dem Camerarius gelegentlich einiges über mein Schicksal schreibst. Während ich das schreibe, verweilt der Kaiser noch in Hall, und ich befinde mich sechs bis sieben Meilen weit entfernt in einem Schlupfwinkel unter freiem Himmel in Erwartung einer Nachricht von meiner Familie und Habe. Was aus Straßburg und Ulm werden wird, weiß ich nicht. Kurz, wohin ich sehe, überall brennt die Fackel des Krieges und alles ist kaiserlich. Darum, wenn es kein Land mehr gibt, das mich aufnehmen kann, so bitte ich den Herrn, dass er mich in den Himmel aufnehme.“