Calvin, Jean – An Gulielmo Gratarolo in Basel.

Nr. 589 (C. R. – 3007)

Gratarolo, ein Arzt aus Bergamo, lebte als Refugiant in Basel und war dort Calvins spezieller Vertrauensmann. Zwischen Bern und Genf kam es trotz des neuen Bundes wieder zu Streitigkeiten wegen Perrins und der Verbannten, die einzelne Genfer durch Raubzüge geschädigt hatten; sie sollten durch ein Schiedsgericht unter dem Vorsitz des Basler Zunftmeisters Franz Oberried geschlichtet werden. Weggelassen ist die unwichtige, eingehende Darstellung vom Stand des Prozesses. Über Simon Grynäus vgl. 13, 41; sein Neffe Thomas Grynäus, früher Professor in Bern, jetzt in Basel, ist vielleicht die im Briefe mit G. bezeichnete Persönlichkeit.

Werbung eines politischen Agenten Genfs in Basel.

Deinen letzten Brief habe ich noch nicht beantwortet, weil die neue Auflage der Institutio noch nicht im Druck ist; doch wird sie hoffentlich bald soweit sein. An mir lag die Verzögerung nicht, und der Drucker macht sich auch schon bereit; sobald sie erschienen ist, erhältst du das Geschenk, um das du bittest. Grynäus, Schrift vom Abendmahl missfällt mir zwar nicht, doch halte ich sie nicht für geeignet, die Irrlehren zu widerlegen, die heutzutage die Kirche beunruhigen; ich habe mich daher einer so unpräzisen Fassung der Lehre enthalten. Doch ich schreibe einer andern Sache wegen an dich. Jedenfalls ist über unsern Streit mit Bern auch in Basel gesprochen worden, da man ja den Obmann des Schiedsgerichts dorther berief. Der Ausgang war wie gewöhnlich: die vom Berner Rat eingesetzten Richter urteilten so, dass es für Genf Sünde und Schande gewesen wäre, sich zu unterziehen. Der Obmann hat die Frist, die ihm nach den Bestimmungen des Burgrechts zur Überlegung gelassen wird, in Anspruch genommen, nämlich einen Monat. Wenn nun auch die Gerechtigkeit unserer Sache sonnenklar ist, so glaubt unser Rat doch nicht müßig sein zu dürfen, damit nicht etwa unsere Widersacher, deren Unverschämtheit, Kühnheit und Bosheit heillos ist, durch ihren Lügen gewissen Leuten Sand in die Augen streuen und andere bestürzt und schwankend machen. Dazu ist nun ein geschickter Mann nötig, und als neulich vor mir bedauernd bemerkt wurde, man habe in Basel keinen Vertrauensmann, dem man diese Aufgabe übertragen könne, sagte ich, vielleicht könnte ich jemand finden, der mit Geschick und Glück ihrem Wunsche nachkäme. Wen ich meinte, behielt ich für mich, denn die ganze Sache muss geheim behandelt werden. Willst du uns nun deine Hilfe zu Teil werden lassen, so wüsste ich niemanden zu finden, der besser wäre. Denn wie ich glaube und es mir verspreche, hast du dazu die Begabung; dazu kommt deine Erfahrenheit, und deine Rechtschaffenheit kenne ich gut genug. Auch kannst du dir überall leicht Zutritt verschaffen, und deine Liebe zu Genf, noch mehr aber die gute Sache selbst, wird deinen Eifer entflammen. Mein so wohl begründetes Vertrauen nicht zu enttäuschen ist deine Pflicht. – – –

So bitte und ersuche ich dich nun, auf alle Art danach zu trachten, wie du dich an den Obmann des Schiedsgerichts machen und etwas aus ihm herausbringen kannst. Hast du zu ihm keinen Zutritt, so sprich scheinbar gelegentlich mit denen, die dir bekannter sind; vor allem möchte ich, dass du mit G. redetest, dessen Rechtschaffenheit mir zwar durchaus bekannt ist, dessen Leichtgläubigkeit aber verdächtig ist; es sind ja zwei der Verworfenen seine alten Schüler. Du kannst ihn als meinen Freund bitten, er möge doch nach Kräften hindern, dass eine so schnöde, schändliche Tat vom Schiedsgericht gebilligt werde; schließlich kannst du ihn auch mahnen, uns zu schützen und zu unterstützen. Mache dich auch an Dr. Amerbach und die beiden andern Rechtsgelehrten, denn wahrscheinlich müssen sie Gutachten dazu geben, und gewöhnlich entscheiden ja dann die Schiedsrichter nur danach. Verteidige also auch im Privatgespräch unsere Sache und suche herauszubekommen, was sie im Sinn haben. Ich nenne jetzt niemand sonst, doch ists deine Aufgabe, nach deiner Kenntnis der Sachlage darauf zu achten, dass niemand übergangen wird. Ich weiß nicht, obs gut wäre, zu sagen, du seiest von deinen Landsleuten in Genf persönlich gebeten worden. Schaden würde es zwar nicht viel; aber es ist wohl doch besser, als Grund des Interesses, das du bei unsrer Verteidigung an den Tag legst, einfach deine Freundschaft mit den hier lebenden Italienern anzugeben. Freilich, noch mehr wird deine eifrige Tätigkeit wirken, wenn du, ohne irgendeine persönliche Neigung anzuführen, einfach ganz offen erklärst, was wahr ist: es sei eine unerträgliche Lage, dass eine edle, christliche Stadt wie Genf solchem Schimpf und solcher Schande ausgesetzt sei. Doch ich bin töricht, dir solche Vorschriften zu machen, da du ja alles viel besser durchschaust. Nur möchte ich dich zweitens noch bitten, was du durch dein Forschen erfährst oder auch nur vermutest, so rasch wie möglich zu melden. Diesem Stadtboten kannst du nach Belieben den Tag bestimmen, wenn er einen Brief mitnehmen soll; nur darf er nicht erfahren, was besser unter uns bleibt. Ereignet sich nach seiner Abreise etwas Wichtiges, was zu wissen in unserm Interesse liegt, so schicke einen Boten auf meine Kosten; die Ausgaben werde ich dir in guten Treuen baldigst erstatten. Verzeih diese freimütige Sprache; du siehst, die Notwendigkeit verlangt es so, und ich bin überzeugt, auf meine Bitte bist du zu allem bereit, was du als recht und deiner Hilfe wert erkennst. Du weißt auch wohl, wie sehr sich dir später die Freunde verpflichtet fühlen werden, die jetzt noch gar nicht wissen, was vorgeht. Ich will noch beifügen: die Mühe, die du dir machst, wird nicht ohne Frucht, für dich bleiben; das verspreche ich dir. Indessen habe ich das volle Zutrauen, du zeigest dich so bereitwillig, dass es weitern Antreibens nicht bedarf. Lebwohl, trefflicher Mann und verehrter Bruder. Der Herr sei mit dir; er leite, behüte und segne dich samt deinem Hause.

Genf, 9. Februar 1559.