Couraut war am 4. Oktober zu Orbe gestorben; wie Farel nach der Aussage des Sterbenden vermutete, an Gift, das ihm der Pfr. Fortune Lecoq gegeben. Die in Straßburg studierenden jungen Leute Michel, Henri und Humbert sind nicht näher bekannt. Morand und Marcourt waren Calvins und Farels Nachfolger in Genf. Der Führer der Calvin-Anhänger war Antoine Saunier, Rektor des College de la Rive; er hatte samt seiner Partei schismatische Absichten. Wie es scheint, suchten ihn die Gegner durch das Angebot eines Pfarramts zu beschwichtigen.
Über Courauts Tod und die Verhältnisse bei Freund und Feind in Genf.
Gnade sei mit dir und Friede von Gott. Über Courauts Tod bin ich so bestürzt, dass ich kein Maß finde in meinem Schmerz. Keine Beschäftigung kann am Tag meinen Geist hindern, immer wieder zu demselben Gedanken zurückzukehren. Dieser entsetzlichen Pein des Tages folgen noch herbere Qualen des Nachts. Nicht nur plagen mich einzelne schlaflose Stunden, (daran bin ich gewöhnt), sondern ganz durchwachte Nächte entkräften mich, und nichts ist meiner Gesundheit unzuträglicher. Stechend empfinde ich vor allem die Schlechtigkeit, [die an seinem Tode schuld ist], wenn der Verdacht richtig ist, dem ich Raum geben muss, ich mag wollen oder nicht. Wohin werden unsere Nachkommen geraten, wenn jetzt schon am Anfang solche entsetzliche Dinge geschehen? Wie fürchte ich, dass diese Freveltat bald durch ein großes Unglück der Kirche gestraft wird. Aber ist es nicht schon ein Zeichen des Zornes Gottes, dass, da die Guten schon so selten sind, die Kirche eines Mannes beraubt wurde, der unter den Guten nicht der letzte war? Was sollen wir anders, lieber Bruder, als über unser Unglück trauern? Doch fehlt uns ja auch ein sicherer Trost nicht. Ein Großes ist es schon, dass alle durch ihren Schmerz und ihre sehnsüchtige Trauer beweisen, wie sehr sie seine Tüchtigkeit und Rechtlichkeit fühlten. So lässt der Herr schon auf Erden die Ungerechtigkeit unserer Feinde nicht verborgen bleiben. Nicht ein Haar breit haben sie durch seinen Tod gewonnen; denn er steht vor Gottes Richterstuhl als ein Zeuge und Ankläger ihrer Bosheit, dessen Stimme lauter tönt zu ihrem Verderben, als wenn er noch die ganze Erde zu bewegen vermöchte. Wir aber, die der Herr übrig gelassen, wollen mutig weiter wandern den Weg, den er gegangen, bis wir unsere Laufbahn durchpilgert haben. Mag man uns Schwierigkeiten machen, soviel man will, sie werden uns nicht hindern, zu der Ruhe zu kommen, in die er nun aufgenommen ist. Hielte uns diese Hoffnung nicht aufrecht, wie viel wäre nicht rings um uns, uns zur Verzweiflung zu bringen? Aber solange die Wahrheit des Herrn fest und unerschüttert bleibt, wollen wir ausharren auf unserer Warte bis ans Ende, bis erscheinen wird, was jetzt verborgen ist, – das Reich Gottes.
Es wundert mich, dass der gute Mann vor seinem Lebensende nichts Klares über uns gesagt hat. Auf einen Nachfolger sollt ihr bedacht sein. Michel ist noch bei uns, für dessen Redlichkeit ich jede Bürgschaft zu leisten wage. Ich versuchte ihm auf jede Weise davon abzuraten, jetzt da Arbeiten sei nötig sei, Urlaub zu nehmen. Aber da ich sah, dass er hartnäckig auf seiner Meinung blieb und Gründe dazu hatte, konnte ihm nicht bis zuletzt widersprechen. Er scheint mir ein durchaus guter Mann zu sein. Seine Offenheit ist so groß, dass ich von ihm keine Verstellung fürchte. Scharfes Urteil ist nicht gerade seine Stärke. Ich sehe aber, dass dieser Fehler aus seiner allzu großen Güte stammt. Er ist so geneigt, alle in Liebe zu umfassen, dass er oft auch Unwürdigen mehr traut, als gut ist. Andrerseits hat er aber auch wieder vor der Sünde einen solchen Schrecken, dass er denen, die er als böse kennt, gar nicht günstig ist. In seiner Furchtsamkeit liegt ein gewisser Fehler. Er scheut die kleinste Beleidigung so, dass er oft um nichts in Verwirrung gerät. Aber auch dieser Fehler, mit einer großen Tugend nahe verwandt, ist leicht zu entschuldigen. Leichtsinniger Anschauungen scheint er mir nicht verdächtig. Denn wenn er auch in Gesinnungen und Anschauungen noch etwas schwankt, so wird er sich doch bald der Glaubensüberzeugung der Frommen in Ruhe hingeben. Denn er ist ganz von denen abhängig, deren persönliche Frömmigkeit und Lehre ihm Ehrfurcht einflößten. Solang er hier ist, will ich ihn noch sorgfältiger erforschen. Er wohnt mit Gaspard, Henri und Humbert zusammen. Die Wohnungskosten wird unser Gemeindlein aus den Kollekten bestreiten; fünf Batzen die Woche werden sie betragen. Dem Humbert werden wir außerdem noch etwas zukommen lassen, wovon er leben kann. Von der Stadt wird für fremde Studenten nichts ausgezahlt, und es ist unter den gegenwärtigen Zuständen auch keine Hoffnung, dass ein Beschluss dafür erreicht werden könnte.
Denn schon blasen die Gegner ins Horn in der Kriegsankündigung gegen die Stadt Minden. Weils Religionssache ist, werden alle Unsrigen notwendig drein verwickelt. Unser festester und unüberwindlichster Schutz wird es sein, wenn der Herr der Heerscharen uns ausrüstet mit seiner Kraft. Sonst sind wir kaum stark genug, den Angriff der Feinde abzuschlagen. So wollen wir fliehen zu dem einzigen Zufluchtsort, der nie erschüttert wird, auch wenn die ganze Welt zusammenbricht.
Wir werden auch nicht aufhören, eine Tagung zu fordern, bis wirs erreicht haben. Morand und Marcourt täuschen meine Erwartung. Von solchen Baumeistern werden Pläne entworfen, die zu verschmitzt sind, als dass man sie gleich durchschaute. Saunier will eine zweite Frage von uns behandelt haben: ob es ihm und seinesgleichen erlaubt sei, das Mahl des Herrn sowohl aus ihren Händen zu empfangen, als auch mit einem solchen Auswurf von Menschen zu teilen. Ich war mit Capito in dieser Sache ganz einig. Die Hauptsache ist das: Die Abneigung gegen ein Schisma müsse bei den Christen so groß sein, dass sie es, soweit es immer möglich ist, vermeiden. Dem Dienst am Wort und Sakrament gebühre solche Ehrfurcht, dass, wo diese Dinge bestehen, man dafür halte, es sei eine Kirche. Wenn es also durch Gottes Zulassung so gekommen sei, dass durch diese Pfarrer – sie mögen sein, wie sie wollen – die Kirche verwaltet werde, wenn sie die Zeichen der Kirche dort sähen, so sei es besser, sich nicht von der Abendmahlsgemeinschaft fern zu halten. Auch dass einige unreine Lehren dort verkündet werden, widerspricht dem nicht. Denn es ist kaum eine Kirche, die nicht auch einige Überbleibsel der frühern Unwissenheit beibehalten hätte. Uns genügt es, wenn die Lehre, auf die sich die Kirche Christi gründet, ihren Platz dort hat und behauptet. Auch das hemmt unser Urteil nicht, dass nicht als richtiger Pfarrer gelten darf, wer sich an die Stelle des wirklichen Dieners am Wort nicht nur betrügerisch eingeschlichen hat, sondern frech eingedrungen ist. Denn es braucht sich nicht jeder Privatmann mit solchen Bedenken plagen; die Sakramente machen die kirchliche Gemeinschaft aus. Sie sollen es ruhig ertragen, dass sie ihnen von den Händen der jetzigen Pfarrer ausgeteilt werden, wenn sie sehen, dass diese im Amte stehen. Ob mit Recht oder Unrecht, darüber können sie, obwohl es sie selbst angeht, doch ihr Urteil aufsparen bis zur gesetzlichen Behandlung der Sache. Wenn sie so auch den Amtsdienst dieser Pfarrer in Anspruch nehmen, so ist doch keine Gefahr, als ob sie dadurch die Pfarrer anerkennten, billigten oder irgendwie für rechtmäßig zu halten schienen. Vielmehr legen sie dadurch nur für ihre Geduld Zeugnis ab, da sie diese Leute ertragen und sie aufbehalten zur Verurteilung durch feierlichen Gerichtsspruch. Dass sich die guten Brüder anfänglich dessen weigerten, ist nicht verwunderlich und missfällt uns auch gar nicht. In dem damals notwendigen Aufwallen heißer Leidenschaft wäre ja auch solche Duldung nichts anderes gewesen als ein Zerteilen Christi. Damals waren sie ja auch noch im Zweifel, wohin der Sturm sich wenden werde, der alle Verhältnisse verwirrte. Saunier redet dann weiter von sich selbst, und zwar mit solcher Leidenschaft, dass es scheint, er wolle nicht ablassen, als bis er alles, was er wünscht, herausgepresst hat. Unser Grund, es ihm zu weigern, war klar. Denn von einem Pfarrer, dem die Austeilung des heiligen Sakraments anvertraut ist, darf man wohl Klugheit in der Wahlangelegenheit erwarten. Dazu ist zu sagen: es liegt eine deutliche Billigung der jetzigen Pfarrer darin, wenn einer es nicht verschmäht, ihr Kollege zu werden. Schließlich, als es sich darum handelte, ob es besser sei, nachzugeben oder sich zu weigern, setzten wir ihm zu mit der Wahl zwischen zwei Dingen: entweder er verwalte das Amt richtig, so werde er schon am ersten Tag auch vertrieben werden, oder er tue das nicht, so wäre das eine Schande, die er sich um keinen Preis erlauben dürfte. Aber da man ihm gesagt hatte, ich suche nur durchaus nach einem Vorwand, so schlug er leichthin alles ab, was ich sagte. Wir haben erfahren, wie schwer es ist, Leute im Zaum zu halten, die in der törichten Meinung, sie handelten klug, Dummheiten machen. Während wir alle die Lage für ganz unpassend hielten, die Angelegenheit der Brüder zu schlichten, hat der Herr alle unsere Hoffnungen übertroffen. Es wurde erreicht, was wir wünschten. Saunier schien es zuerst schlecht aufzunehmen, dass eine Bekenntnisformel verlangt wurde. Er glaubte, damit allein müssten sich die Unsern zufrieden stellen, dass sie von ihm belehrt worden seien. Nachher widersprach er aber nicht mehr so sehr und unterschrieb ohne Schwierigkeit die Formel, die ich in ihrem Namen verfasst hatte. Ich fürchte, dass es dir zu schaffen macht, denen zu helfen, die an diesem Handel beteiligt sind; aber durch Geduld wirst du endlich zum Siege kommen. Ich bitte dich, lieber Bruder, in diesen bösen Zeiten richte deine Aufmerksamkeit vor allem darauf, alle festzuhalten, die nur irgendwie erträglich sind. In Zeremonienkleinigkeiten setze es bei den Brüdern durch, dass sie nicht so hartnäckig kämpfen wie die Berner Bären. So solls sein: Alles ist unser, wir frei in Allem, Knechte aber des Friedens und der Einigkeit. Wenn ich vieles übergehe, was auch nötig wäre, so geschiehts, weil ich deinen Brief von Capito, dem ich ihn zum Lesen gab, noch nicht zurückerhalten habe. Der Herr bewähre dich und kräftige dich mit der Kraft seines Geistes Alles auszuhalten, im Herrn geliebtester Bruder. Deine Sorge um mich erinnert mich daran, meinerseits dir zu empfehlen, dich zu schonen. Denn alle sagen, du seiest ihnen sehr angegriffen vorgekommen. Ich bitte und beschwöre dich, lieber Bruder, denke doch nur soviel an Andere, dass du darüber nicht vergisst, wie nötig dich selbst die Kirchen Christi haben. Grüße mir alle Brüder, die bei dir sind, tausendmal; Viret, auch Francois und Jacques, wenn du an sie schreibst. Capito, Sturm und Firn lassen dich freundschaftlich grüßen.
Straßburg, 24. Okt. [1538].
Lies durch, was mich Saunier ganz gegen meinen Willen und nur mit Widerstreben an die Genfer zu schreiben nötigte. Was aus diesem Brief geheim zu halten ist, siehst du selbst ein.