Luther, Martin – An den Kurfürsten Friedrich, vom 7. März 1522.

Der furchtsame Kurfürst hatte Luthern aufgefordert, an ihn ein Schreiben zu richten, darin er anzeige, aus was für Ursache er sich nach Wittenberg begeben habe und daß dieß ohne des Kurfürsten Willen und Zulassen geschehen sei. Dieses Schreiben wollte der Kurfürst an etliche seiner Herrn und Freunde gelangen lassen, damit Glimpf zu erhalten. Diesem Verlangen des Kurfürsten leistet Luther in diesem Briefe Folge.

Gunst und Friede von Gott unserem Vater und unserm Herrn Jesu Christo, Amen; und meine unterthänige Dienste.

Durchlauchtigster, Hochgeborner Fürst und Gnädigster Herr! Ich habe fast wohl bedacht, das es möchte E. K. F. G. billig beschwerlich sein, so ich ohn E. K. F. G. Willen und Zulassen mich wiederum gen Wittenberg wenden würde; sintemal es ein scheinlich Ansehen hat, E. K. F. G. und allem Land und Leuten ein große Fahr entstehen möchte; zuvor aber mir selbst, als dem, der durch päbstliche und kaiserliche Gewalt verbannet und verdammt, alle Stunde des Todes gewarten müßte.

Wie soll ich ihm aber thun? Ursach dringt und Gott zwingt und ruft; es muß und will also sein: so sei es also in dem Namen Jesu Christi, des Herrn über Leben und Tod.

Doch, daß E. K. F. G. nicht verhalten seien meine Ursachen, will ich etliche, so ich jetzt fühle, E. K. F. G. zu erkennen geben. Und aufs erste thue ich ja solches nicht aus Verachtung Kaiserlicher Majestät Gewalt, oder E. K. F. G. oder irgend einiger Oberkeit. Denn wiewohl nicht allzeit der menschlichen Oberkeit zu gehorchen ist, nämlich wenn sie etwas wider Gotts Wort vornimmt; so ist sie doch nimmer zu verachten, sondern zu ehren. Christus rechtfertiget Pilatus Urtheil nicht; aber er stieß ihn noch den Kaiser drum nicht vom Stuhl, veracht ihn auch nicht.

Die erste Ursache ist, daß ich schriftlich berufen bin von der gemeinen Kirche zu Wittenberg mit großem Flehen und Bitten. Dieweil nun Niemand läugnen kann, daß durch mich das Wesen angefangen ist, und ich muß mich bekennen einen unterthänigen Diener solcher Kirchen, zu der mich Gott gesandt hat: ist mirs in keinem Weg abzuschlagen gewesen, ich wollt denn christlicher Liebe Treu und Werk versagt haben. Ob nun viel sind, die dieß Wesen für teuflisch Ding ansehen, und örtern1) und verdammen, die ohne Zweifel diese Ursache für nichts achten, sondern vielmehr billig halten, man soll Wittenberg, und was da angefangen ist, versinken lassen; so bin ich doch damit nicht entschuldiget; denn Gott wird mich nicht richten nach anderer, ihr seien viel oder wenig, Glauben oder Unglauben, sondern nach meinem Gewissen. Denn ich weiß, daß mein Wort und Anfang nicht aus mir, sondern aus Gott ist, daß mir kein Tod noch Verfolgung anders lehren wird; mich dünkt auch, man werde es müssen lassen bleiben.

Die ander ist, daß zu Wittenberg, durch mein Abwesen, mir der Satan in meine Hürden gefallen ist, und, wie jetzt alle Welt schreiet, und auch wahr ist, etliche Stück zugericht hat, die ich mit keiner Schrift stillen kann, sondern muß mit selbwärtiger Person und lebendigem Mund und Ohren da handeln; ist mir kein länger Sparen noch Verziehen träglich in meinem Gewissen gewesen. Derhalben mir nicht allein E. K. F. G. Gnade und Ungnade, sondern auch aller Welt Zorn und Unzorn hintan zu setzen gewesen ist. Sie ist je meine Hürden, mir von Gott befohlen, es sind meine Kinder in Christo; da ist keine Disputation mehr gewesen, ob ich kommen oder nicht kommen soll. Ich bin schuldig, den Tod für sie zu leiden; das will ich auch gern und fröhlich thun, mit Gottes Gnaden, wie denn Christus fordert, Joh. 10, (12). Hätte ich aber der Sachen mit Briefen, wie bisher, helfen mögen, daß nicht noch gewesen wäre mir zu rufen: warum sollt ich nicht gerne auch ewiglich von Wittenberg zu bleiben bewilligen? sintemal ich auch sterben soll, um meines Nächsten willen.

Die dritte ist, daß ich mir übel fürchte, und sorge, ich sei sein, leider, allzu gewiß, vor einer großen Empörung in deutschen Landen, damit Gott deutsche Nation strafen wird. Denn wir sehen, daß dies Evangelium fällt in den gemeinen Mann trefflich, und sie nehmens fleischlich auf; sehen, daß es wahr ist, und wollens doch nicht recht brauchen. Dazu helfen nun die, so da sollten solch Empörung stillen, fahen an mit Gewalt das Licht zu dämpfen, sehen aber nicht, daß sie dadurch die Herzen nur erbittern, und zu Aufruhr zwingen, und sich eben stellen, als wollten sie selbst, oder je ihre Kinder vertilget werden; welches ohne Zweifel Gott also schickt zur Plage. Denn die geistliche Tyrannei ist geschwächt, dahin allein ich trachtet mit meinem Schreiben: nun sehe ich, Gott will es weiter treiben, wie er Jerusalem und seinen beiden Regimenten that. Ich habs neulich erlernet, daß nicht allein geistlich, sondern auch weltlich Gewalt muß dem Evangelio weichen, es geschehe mit Lieb oder Leid; wie es in allen Historien der Biblien klärlich sich weiset. Nun hat Gott gefordert durch Ezechiel, man soll sich gegen ihn setzen, als eine Mauer für das Volk; darum ich auch gedacht mit meinen Freunden noch sein davon zu handeln, ob wir Gottes Urtheil möchten wenden oder aufziehen.

Ob nun wohl diese Sache mir selbst vergeblich, dazu meinen Feinden lächerlich sein würde, wenn sie es höreten; muß ich dennoch thun, was ich sehe, und weiß zu thun. Denn das soll E. K. F. G. wissen, und gewiß drauf sich verlassen, es ist viel anders im Himmel, denn zu Nürnberg2) beschlossen: und werden leider sehen, daß die, so jetzt meinen, sie habens Evangelium gefressen, wie sie noch nicht haben das Benedicte gesprochen3).

Es sind wohl mehr Ursachen, die mich noch nicht recht dringen, darum ich auch nicht auf sie dringe, oder tief nachdenke. Es ist allzuviel an der, daß das Evangelium Noth leidet: darum kein Mensch mir anzusehen gewesen ist.

Hiemit bitte ich E. K. F. G. wollten mir gnädiglich zu gut halten meine Zukunft in E. K. F. G. Stadt, ohn E. K. F. G. Wissen und Willen. Denn E. K. F. G. ist nur der Güter und Leibe ein Herr; Christus aber ist auch der Seelen ein Herr, zu welchen er mich gesandt, und dazu erweckt hat; die muß ich nicht lassen. Ich hoffe, mein Herr Christus sei unser Feinde mächtig, und werde mich für ihnen wohl schützen können, so er will. Will er aber nicht, so geschehe sein lieber Wille: es soll doch an mir E. K. F. G. kein Fahr noch Leid geschehen, das weiß ich fürwahr.

Gott laß ihm E. K. F. G. barmherziglich befohlen sein. Geben zu Wittenberg, am Freitag ante Invocavit, 1522.

E. Kurfürstl. Gnaden
unterthäniger Diener Martinus Luther.

Nachschrift. Wo E. K. F. G. diese Form nicht gefället, bitte ich unterthäniglich, E. K. F. G. wollt selbst eine gefällige stellen lassen, und mir zuschicken; denn ich auch nichts scheuen habe, ob der nächste Brief an E. K. F. G. auskäme. Ich will nichts handeln hinfort, das ich nicht am Tage möcht leiden und ansehen lassen. Wiewohl ich die Empörung, die ich bisher verachtet und über die Priesterschaft allein gedacht, nicht gefurcht habe; nun aber sorge ich, sie möchte an der Herrschaft anfahen, und die Priesterschaft, wie eine Landplage, mit einwickeln. Doch das wird und soll nicht eher geschehen, denn nach des Evangelii Verfolgung und Vertilgung, wie es zuvor allzeit geschehen.

1) d. i. untersuchen, richten, verurtheilen.
2) auf dem im J. 1522 daselbst gehaltenen Reichstage.
3) d. h. wird den Feinden die Ausrottung des Evangeliums nicht gelingen.

Quelle:
Luthers Volksbibliothek Zu Nutz und Frommen des Lutherschen Christenvolks ausgewählte vollständige Schriften Dr. Martin Luthers, unverändert mit den nöthigen erläuternden Bemerkungen abgedruckt. Herausgegeben von dem Amerikanischen Lutherverein zur Herausgabe Luther’scher Schriften für das Volk Siebenter Band St. Louis, Mo. Druck von Aug. Wiebusch u. Sohn. 1862