Carlstadt, Andreas – An Haubold von Einsiedel

4.2.1522

Dem gestrengen und ehrenvesten Herrn Haubolden von Einsiedel, churfürstlichen Rath, meinem günstigen lieben Herrn.

Meine ganz willige und unverdroßne Dienste mit Wünschung Gottes Gnaden, Frieden und Gesundheit allezeit zuvor. Gestrenger und ehrenvester Herr.

E. G. Schreiben, daß wir allhier, so predigen, zuweilen der Lehre und Unterweisung uneinig seyen, und wo ich zu Verkündigung des Worts Gottes nicht sonderlich wäre berufen, alsdenn sollte ich mich nicht dazu einlassen, habe ich gern verlesen. Gestrenger Herr, daß wir Zeiten [bisweilen] uneinig seynd, geschieht derhalben, daß wir nicht auf das Wort Gottes fußen, und daß wir achten, als möchten wir durch unsre Vernunft auch was erdenken, das Gotte behaglich ist. Also ist Uneinigkeit in dem Artikel die Beichte belangend entstanden. Für meine Person sage ich, daß ich der Schrift nachgefolgt, berufe mich dessen auf meine unverdächtigen Zuhörer. Ich habe auch gebethen, daß unsre Obrigkeit den Predigern bei einer schweren Pön owllt gebiethen, nichts zu predigen, denn das die Schrift innhält und lehrt. Mich soll auch gewiß kein Tod vom Grunde der Schrift abführen. So weiß ich, daß Gott nichts gefällt, das nicht nach Form heiliger Lehre entsprießet, daß auch Propheten menschliche Sünden Lügen und Träume nennen, und tugendhaftige Prediger und ihre anhörer vermaledeien. Darum bleibe ich straks in Gründen göttliches Worts, und lasse mich nicht irren, was andre lehren. Ich weiß auch, daß ich niemand ärgern kann, denn Unchristen.

Daß ich aber mich selber einlassen sollte ohne Berufung, ist auch so hin an E. G. gelangt. Denn mir gebührt zu Schlosse zu predigen. Weil nun der Probst früh prediget, habe ich nach der Vesper auch zu predigen vorgenommen, versehe mich, ich sey also genugsam dazu berufen, wiewohl ich mich ohne das auch sonst schuldig erkannt, Gottes Wort zu predigen. Bin ich doch unwürdiger Doctor, warum soll ich nicht predigen? Gestrenger Herr; mir ist das Wort fast in großer Geschwindigkeit eingefallen: wehe mir, werde ich nicht predigen. Derowegen bitt ich, E. G. wollen mich nicht verdenken. Ich weiß auch wohl woher solche Angebung kommen ist. Man ist mir feind, deß dank ich Gott; aber ich will sie nicht scheuen, ich weiß mich gerecht. Das will ich mich auch berühmen, daß ich Aufruhr hasse und fliehe. Gott gebe, daß meine Angeber nicht mit der Zeit werden einen Aufruhr erwecken, der nicht gut wird. Ich verbiethe Aufruhr. So aber drängen etliche den armen Mann also, daß ich gern wollte, sie handelten christlicher.

E. G. danke ich in hohem Fleiß günstiger Erinnerung, will auch gern wieder antworten, wo vonnöthen, und habe gar keinen Zweifel, so E. G. meine Lehre nach Vermögen heiliger Schrift werden richten und urtheilen, daß ich wohl vor E. G. und allen verständigen Christen will bestehen. Der lebendige Gott spare E. G. gesund.

Datum Wittenberg, eilig, Dienstag nach St. Blasii im XXII Jahre.

E. G.
Diener Endres
genannt Carolstadt.

Corpus Reformatorum
Edidit
Carolus Gottlieb Bretschneider
Volumen I.
Halis Saxonum
Apud C. A. Schwetschke et Filium
1834