Calvin, Jean – An Viret in Lausanne (574)

Nr. 574 (C. R. – 2943)

Viret und seine Kollegen in Lausanne hatten dem Berner Rat einen Entwurf einer neuen schärferen Kirchenordnung eingereicht und eine scharf abweisende Antwort erhalten. Darauf hatte Beza, der sich nur widerwillig Virets Vorgehen angeschlossen hatte, seine Entlassung von der Lausanner Professur nachgesucht und erhalten und war nach Genf gezogen. Viret hatte sich nun bei Calvin bitter über Beza beklagt, der ihn so schnöde im Stich lasse und es nicht wage, es auf eine Absetzung ankommen zu lassen. Jean Cousin war Diakon von Payerne.

Verteidigung der Demission Bezas.

Ich zöge es zwar vor, dir gegenüber wie bisher schonend zu schweigend, aber ich fürchte, dies verletzt dich mehr, als wenn ich frei heraus dir allerlei Bitteres sage. Hieltest du an deiner vorgefassten Meinung nicht so fest, so wärest du, denke ich, gegen unsern lieben Beza auch gerechter. Erstlich ist mir seine Lauterkeit zu gut bekannt, als dass du mich davon überzeugen könntest, er habe nur unter einem falschen Vorwand von Euch fortkommen wollen. Ebenso so unfreundlich ist dein Vorwurf, er hätte ein anderes Vorgehen wählen müssen, da du ihn zu dem, was ihm nun als Fehler angerechnet wird, selbst wieder seinen Willen genötigt hast. Ist das gerecht, ihn erst leidenschaftlich zu etwas zu zwingen und ihn jetzt zu verurteilen, weil er dir den Gefallen getan hat? Beza sah gleich voraus, was jetzt tatsächlich so zutage getreten ist; es war sein sehnlichster Wunsch, ruhig, ohne Lärm und Ärgernis, von Lausanne fort zu kommen. Besinne dich, dass er sich deinen Bitten oder deinem autoritativen Befehl beugte und sich mit Wissen und Willen die Fesseln anlegen ließ, in denen du ihn nun gefangen halten willst. Hätte er dir doch nie nachgegeben oder sich los gebeten und das Ziel seiner eigentlichen Wünsche erreicht! So gäbe es jetzt nicht solche Klagen, die ihren Ursprung in seiner Gefälligkeit haben. Was sage ich Klagen? Dass er sich wider seines Herzens Neigung Eurem Gebot und Wunsche fügte, wird ihm jetzt fälschlicher und ungerechter Weise in die Schuhe geschoben. Jean Cousin hat mir erzählt, das habe ihm hauptsächlich den allgemeinen Hass zugezogen, dass er sich seiner eignen Meinung entgegen mit Euch verbündete. Nun bitte ich dich, durch wessen Schuld ist er jetzt solcher drohenden Leidenschaft ausgesetzt? Trotzdem schiltst du nun ihn und uns zugleich, weil er Eure Pläne gegenüber den unsern hintansetze. Was ich für meine Kollegen auf diesen Vorwurf erwidern soll, weiß ich nicht, da Beza nie mit ihnen gesprochen hatte. So ist also deine Eifersucht ihnen gegenüber nicht am Platz. Oder hast du etwa bloß den Ausdruck etwas weiter fassen wollen, um mich allein nicht gar zu hart zu treffen? Ich sehe aber nicht recht ein, warum dich das so zornig macht, dass Beza den Rat derer annimmt, die er für treue Knechte Christi und seine aufrichtigen Freunde hält, wenn du dir das Recht vorbehältst, den Rat von Leuten, die aufs beste für dich sorgen wollen, abzulehnen. Es darf dich wirklich nicht wundern, dass Beza, da du keinen Widerspruch duldest, sich lieber dem Urteil derer anschließt, von denen er fühlt, dass sie ihm gnädiger sind. Du hast dich ja noch über viel zu beklagen, und andrerseits würde es auch mir nicht an Erwiderungen fehlen, ohne sonderlich beredt sein zu müssen. Es plagt dich gewiss niemand, du müsstest deinen Posten auch aufgeben, und wenn ich darin auch andrer Ansicht bin als du, so habe ich doch nie einen so bösen Verdacht gefasst, als ob dich etwas anderes festhielte als Gottesfurcht. Vielmehr bin ich der Meinung und sage es auch, eben dein frommer Eifer mache dich allzu optimistisch und täusche dich. Es scheint dir freilich anders; das verzeihe ich dir gern und nehme es hin, nur eine gewisse Freiheit der Meinung will ich doch haben. Denn wenn du unsern Rat viel zu weitgehend nennst, so pflichte ich dem zwar nicht bei; aber meinetwegen kannst du ruhig von deiner Mäßigung Gebrauch machen. Forsche nach, ob ich je von dir scharf gesprochen habe und nicht vielmehr stets mich von der Befürchtung leiten ließ, es könne in Lausanne eine Parteispaltung eintreten, und ohne Zweifel wollte auch Beza dies sorgfältig verhüten; du wiederum musst dich fragen, ob nicht dadurch, dass du einen freien Bruder deiner Ansicht unterwerfen willst, das Übel, das ich bereits sich einschleichen sehe, vermehrt wird. Dazu wird Euch Eure Amtspflicht bald nötigen, die Verleumdungen, mit denen Beza jetzt überhäuft wird, selbst zu widerlegen. Dass du darüber so böse bist, weil ich dir neulich keinen Rat geben wollte, will ich hingehen lassen; nur darfst du mir nicht vorwerfen, ich hätte dich im Stich gelassen, und zugleich mich anklagen, weil ich nicht sehe, was gut ist. Dein Brief enthält nämlich beides; im einen Fall durfte ich doch gewiss schweigen. Du vergleichst uns solchen, denen es wohl geht, als ob uns Euer Leid gar keine Sorge machte oder als ob wir so stumpfsinnig wären, dass uns gar nicht zum Bewusstsein käme, welches Übel droht, wenn du von Lausanne fort gehst. Aber es ist kein gerechtes Urteil, wenn du meinst, du allein werdest von allen Seiten angegriffen, da doch die ganze Wucht des Sturmes auf uns zurückprallt. Der Herr leite uns beide mit dem Geist der Duldsamkeit und Milde, damit wir vereinten Herzens und in brüderlichem Wohlwollen einander helfen und fortfahren in unserm Wirken. Lebwohl, trefflicher Mann und verehrter Bruder. Bitte grüße alle Kollegen vielmals von mir.

Genf, 27. August.

Grüße auch deine Frau und dein ganzes Haus.

Mehreres mündlich, wenn es dir einmal passt, zu uns zu kommen, da mir eine Reise nach Lausanne nicht vergönnt ist.