Nr. 477 (C. R. – 2367)
Die Gräfin Dluska hatte ihre beiden Söhne nach Zürich gesandt, damit sie eine evangelische Erziehung genössen, und deren Hofmeister hatte Calvin besucht.
Lob wahrhaft evangelischer Mutterliebe.
Wenn auch in Polen, edle Frau, deine Frömmigkeit durch bestimmte Proben bekannt ist, so hast du sie doch auch uns hierzuland durch gute Pfänder bezeugt. Denn dass es dir nicht zu schwer fiel, deine Söhne weit fort in ein dir fast unbekanntes Land zu senden, damit sie besser in der reinen Lehre Christi unterrichtet würden, das macht sehr deutlich, wie viel dir an ihrer Erziehung in reiner Frömmigkeit gelegen ist. Eine lebendige Glut der Begeisterung muss es gewesen sein, die dich zwang, die Weichlichkeit der natürlichen Mutterliebe zeitweilig zu vergessen und abzulegen, bis du sie wieder sehen kannst, ganz durchdrungen von echtem Christenglauben und das dann mit fröhlicherem Sinne, als wenn sie nie aus deinem Schoß und deinen Augen gekommen wären. Jedenfalls werden unsere Brüder in Zürich, unter deren Aufsicht deine Söhne leben, sich getreulich Mühe geben, dass der Erfolg deiner Hoffnung und deinen Wünschen entspreche. Auch ich will sie, wenn ich einmal nach Zürich komme, eifrig ermahnen, deine Erwartung nicht zu enttäuschen. Denn dein frommes Wünschen ist es wert, dass alle Guten sich beeifern, dir darin behilflich zu sein. Nicht weniger Lob verdient die fromme Zucht, die in deinem Hause waltet. Läge doch allen daran, so auserlesenes Gesinde zu haben, dass jeder eine kleine Hausgemeinde hätte! Wünschenswert wäre es auch, vor allem so lange die Verhältnisse in Polen noch so unbestimmt sind, es gäbe nicht nur mehr solcher Frauen, sondern auch Männer, die ein ähnliches leuchtendes Beispiel gäben. Weil es aber dir gegeben ist, so zu handeln, so fahre auch bis ans Ende so fort in unermüdlicher Standhaftigkeit. Ich höre, vieler Augen seien auf dich gerichtet, nicht nur, weil man sieht, wie du als Frau von höchstem Adel an Tugend dich auszeichnest, sondern weil Gott dich zu einzigartigen Beispiel gemacht hat, das mit Recht auch Männer zur Nacheiferung reizen sollte. Weil in diesem Lebenslauf uns allen aber viele Schwierigkeiten sich entgegenstellen, so bitte ich den Herrn, er möge dich stark machen zum Ausharren, und von Tag zu Tag reicher an seinen Gottesgaben, und dich dabei unter dem Schutz seiner Hand gesund und wohl erhalten. Lebwohl, edelste Herrin.
Genf, 29. Dezember 1555.
Dein
Johannes Calvin.