Richard Vauville, der Pfarrer der französischen Gemeinde in Frankfurt, war im November 1555 gestorben, vgl. 470. An seine Stelle wurde Francois Perrucel, der französische Pfarrer von Wesel, berufen, der aber ablehnte.
Versuch zur Schlichtung der Frankfurter Zwistigkeiten.
Die Liebe Gottes, unseres Vaters, die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei durch die Gemeinschaft des heiligen Geistes stets mit Euch.
Sehr liebe Brüder, es tut mir weh, dass ich nicht so sehr Anlass habe, Gott zu preisen und zu loben für das Wohlergehen Eurer Gemeinde, als vielmehr Euch sagen muss, wie sehr mich die schlechten Nachrichten von Euren Verhältnissen geschmerzt haben. Die Kunde vom Tode unseres lieben Bruders, M. Richard Vauville, hat uns sehr betrübt; denn Gott hatte Euch an ihm einen tüchtigen und treuen Pfarrer gegeben, wofür man nicht immer leicht Ersatz findet. Ja, heute ist leider die Zahl derer, die sich rechtschaffen dem Dienste Gottes widmen, recht klein. Ich glaube auch, Ihr habt selbst bereits erfahren, wie nützlich Euch sein Wirken war, und wie untadelig er wandelte. Doch hoffe ich, unser lieber Bruder, Mag. Francois [Perrucel], den Ihr zu seinem Nachfolger erwählt habt, wird sich nach der Gnade, die ihm Gott erwiesen, so halten, dass Ihr nichts entbehren müsst; wenn dann nur auch die armen Brüder in Wesel nicht unversehen bleiben, wofür Ihr zweifellos sorgen werdet, wie auch dafür, dass alles zwischen den beiden Gemeinden in guter Eintracht abgeht; denn schon ihre Notlage mahnt Euch, Rücksicht auf sie zu nehmen.
Was mich aber hauptsächlich treibt, Euch zu schreiben, ist die Betrübnis, die mein Herz empfindet, wegen der Händel und Zwistigkeiten, die schon zu lange unter Euch um sich fressen. Ich dachte, alles sei erledigt, und wir lobten bereits Gott dafür nach dem Bericht, den uns unser lieber Bruder de St. Andre von Euch gegeben hatte. Jetzt ist mein Schmerz doppelt, da ich sehe, wie der Übelstand, den ich für abgetan hielt, weiter besteht.
Es handelte sich damals um einige Fehler, die Ihr an unserm Bruder, Mag. Valerand [Poulain], Euerm Pfarrer, fandet. Es wurde dem so gründlich abgeholfen, dass Ihr hättet zufrieden sein können, wie mir scheint, umso mehr, als er sich friedlich jeder Zurechtweisung unterzogen hatte. Nun hat sich jetzt, wie ich höre, ein neuer Zwist erhoben, nämlich, dass ihn einige nicht als Pfarrer ansehen und anerkennen wollen, bis er seines Amtes entsetzt und man auf eine neue Wahl eingegangen sei. Für meine Person muss ich sagen: wer an einer solchen Forderung festhält, ist schlecht beraten, da das eine zu weitgehende Strenge ist und nicht zur Erbauung der Kirche dient. Ich weiß nicht im Einzelnen, wie er in Frankfurt zu predigen begann, und wie er zu seiner jetzigen Stellung gekommen ist. Hätte eine Wahl mit allen Förmlichkeiten stattgefunden, so würde er ohne Zweifel heute nicht bekämpft. Nehmen wir also den Fall an, man müsste darauf nochmals zurückkommen. Bedenkt nun doch bitte, wenn ein Bruder im fremden Lande um einen Raum und die Erlaubnis einkommt, eine Herde Jesu Christi zu sammeln, wenn die, die dort sind, sich mit ihm und zu seiner Predigt versammeln, wählen sie ihn damit nicht doch tatsächlich, auch wenn dabei keine weitern Förmlichkeiten beobachtet werden? Mir scheint, es wäre undankbar, einen Mann mit einem Mal zu verwerfen, der bei der Gründung der Gemeinde solche Dienste geleistet hat, und ihn nicht mehr zu berücksichtigen, da er doch erst die Möglichkeit und den Beginn eines Gemeindelebens im Namen Gottes und unter seiner Führung zustande gebracht hat. Ich gebe zu: wo feste kirchliche Zustände eingerichtet sind, ist eine Durchbrechung der Kirchenordnung unerlaubt; wo aber überhaupt noch nichts Festes besteht, ists doch ganz anders. Seht doch alle die Kirchen an, die in ganz Deutschland unserm Herrn Jesu Christo gewonnen worden sind! Sind nicht überall die, die zuerst in ihnen gewirkt haben an der Aussaat des Evangeliums, als Pfarrer anerkannt worden ohne weitere Förmlichkeit? Ich will Euch nicht an menschliche Autorität binden; aber ich führe diese Praxis an, um Euch zu beweisen, was ich eben sagte, nämlich, dass bei verworrenen Verhältnissen eine Wahl nicht in der gleichen Weise gefordert werden kann wie in einer bereits geordneten Gemeinde. Ich finde also für solche Bedenken weder Grund noch Halt, sondern es scheint mir, man suche damit nur Anlass zu weiterem.
Bedenkt übrigens auch, in welches Wirrsal man hineingeriete, wenn die Forderung angenommen würde. Was soll über all die Taufen gelten, die seither vollzogen worden sind? Was von dem Abendmahl, das Ihr genossen habt? Ich sage nicht mehr, weil das genügen muss, solchen übers Ziel hinausschießenden Händeln ein Halt zu gebieten. Genügt aber selbst das den Brüdern noch nicht, die in ihrem Eifer zu zäh an ihrer Meinung festhalten, so bitte ich sie, um Gottes willen doch an die großen Gefahren zu denken, in die sie die ganze Gemeinde bringen. Ihr wohnt da in Frankfurt gleichsam zur Miete. Findet man nun, dass Ihr so schwer zu befriedigen seid, wird dann nicht diese unangenehme Art die guten Herren entmutigen, die Euch so freundlich aufgenommen haben? Weiter seht Ihr, dass in der Person des so Bekämpften Ihr alle von denen angegriffen werdet, die nichts wollen als einen Anlass, Euch zu Grunde zu richten. Es ist schlimm, dass zwar Welfen und Ghibellinen sich einigen, wenn sie einen gemeinsamen Feind sehen, dies bei Euch aber nicht so ist, die Ihr doch einig sein solltet in der Wahrheit des Evangeliums. Unsere Gegner in der Abendmahlsfrage beginnen einen Vernichtungskrieg auch gegen Euch. Mag. Valerand ist bereit sie zurückzuweisen und hält die ersten Schläge aus. Dass er nun von der andern Seite noch durch Euch behelligt wird, ist doch zu wunderlich. Gerade die Not, in der er ist, sollte selbst die Herzen derer rühren, die wirklich Grund hätten, ihm zu zürnen. Seht vor allen Dingen auch darauf, dass Gott Euch heimsucht mit der Pest und dass er Euch schon einen Eurer Pfarrer genommen hat, sozusagen als Drohung, er wolle Euch das ganze geistliche Amt nehmen, wenn Ihr nicht zur Zufriedenheit zu bringen seid.
Ich schreibe Euch so, weil ich ein angelegtes Feuer löschen will. Noch einmal, fühlt sich jemand verletzt, so bitte ich ihn im Namen Gottes, zum mindesten ohne Aufruhr und Zank sich zu gedulden, bis Ihr einmal meinen guten Rat hören könnt, und einstweilen sich damit zu beruhigen. Ich hoffe zwar, diese Ermahnungen, die ich Euch gegeben, genügen, aber ich will Euch damit noch einmal einen letzten Vorschlag machen. Viel lieber wäre mir freilich, wenn das Übel gleich und unverzüglich besser würde und man wieder zu guter Eintracht käme. Damit, will ich Euch sagen, machtet Ihr Brüdern die größte Freude, die Eure Ruhe und Euer Wohl wünschen und Euch das verschaffen möchten, so gut sie können.
Indem ich hiermit Eurer Gewogenheit empfehle, bitte ich den lieben Gott, Euch durch seinen Geist zu leiten in alle Klugheit, Sanftmut und Tüchtigkeit. Meine Kollegen lassen Euch herzlich grüßen.
Genf, 26. Dezember 1555.
Euer Bruder
Johannes Calvin.