Fauler Friede in Genf.
Ich müsste mich schämen, trefflicher Mann und verehrter Bruder, dass ich auf deine zwei Briefe noch nicht geantwortet habe, hätte ich nicht einen Grund zum Schweigen. Ich wollte nämlich nicht schreiben, ehe unsere Verhältnisse wieder geordnet seien, damit dich nicht unsere Kämpfe betrübt und ängstlich machten und du samt deinen guten, treuen Brüdern nicht auch an dieser Trübsal teilhabest. Zuweilen wurden wir ja von so mancherlei Stürmen umher getrieben, dass uns kein Tag aufging, an dem wir nicht für den folgenden fürchteten. Schließlich kam man soweit, dass eine allgemeine Aussöhnung stattfand. Denn der Rat war ganz offen in Parteien zerspalten gewesen, und so deutlich war der gegenseitige Hass hervorgebrochen, dass die Bösen die Rache Gottes über ihrem Nacken spürten; und doch hatten die Guten nicht Mut genug, die kirchliche Lage, um die der scharfe Kampf sich drehte, in Ordnung zu bringen. Nur dazu verpflichtete man sich durch Eid und Handschlag, es wolle niemand mehr sich einer üblen Sache annehmen. Zwar hat sich unsere Gegenpartei schon durch diese vorläufige Bezeichnung stillschweigend selbst verurteilt, aber unter dem beliebten Schein eines Friedensschlusses ists doch dahin gekommen, dass der einzige wirkliche Schutz des Friedens, die gesetzliche Ordnung der Angelegenheit, vernachlässigt oder wenigstens in den Hintergrund gestellt wurde. Ich wurde ins Rathaus gerufen und bekannte, ich verzeihe allen, die ihr Tun von Herzen bereuten, aber ich sei nur einer aus dem Konsistorium, und ich wolle hundertmal lieber sterben, als mir allein anzumaßen, was der ganzen Kirche zukomme. Das merkten wir wohl, dass der Satan nichts mehr wünscht, als dass die Frage zweifelhaft und unentschieden und damit ein Anlass für künftige Wirren bleibe. Wir haben aber im Sinne, zuvorzukommen. Wenn die Feinde auch mit geringerer Heftigkeit als früher auftreten werden, so werden wir doch bald wieder kämpfen müssen. Da siehst du nun deutlich, warum ich schwieg, – ich wollte die Schmach unserer Zustände im Innern verdecken. Verstehe das so: obwohl überall sonst die Kirche im Sturm umhergeschleudert wird, in Genf schwimmt sie nicht anders als die Arche Noahs in der Sintflut. Daraus kannst du auch den Schluss ziehen, wie wenig es mir gefällt, wenn Euer hochweiser Rat stets mit Anfragen von uns behelligt wird. Das wurde ja neulich deutlich bezeugt, indem man über die geistliche Leitung der Kirche kein Gutachten von Euch erbat. Aber was soll ich tun, von dem all´ die guten Leute Hilfe verlangen, die sie selbst nicht bringen können? Gut ists, dass wir einen Steuermann haben, unter dessen Hut wir selbst im Schiffbruch sicher sind und dann, dass wir nicht mehr weit vom Hafen sind. Unterdessen müssen wir uns eben in die Lage derer finden, die die gleiche Fahrt wagen müssen. Meine Widerlegung der servetischen Gottlosigkeit wird dir hoffentlich zugesandt, ehe dich mein Brief erreicht. Es ist ein kurzes Büchlein, in großer Hast geschrieben. Doch ists besser, dass das, was darin steht, geschrieben wurde, als gar nichts. Die Ereignisse in England sind, denke ich, bei Euch schon bekannt, und während dieser Brief noch unterwegs ist, kommt vielleicht bestimmtere Nachricht. Lebwohl, hochberühmter Mann und sehr verehrter Bruder. Grüße Herrn Gwalther, deine Schwiegersöhne und die übrigen Brüder angelegentlich von mir. Herr Marchese Caraccioli, unser lieber Bude und meine Kollegen lassen dich grüßen. Der Herr schirme Euch mit seiner Hand, leite Euch mit seinem Geiste und segne Euer Wirken. Amen.
Genf, 23. Februar 1554.
Dein
Johannes Calvin.