Der Hof der evangelisch gesinnten Königin war eine Zufluchtsstätte vieler Verfolgter, und auch Calvin hatte einst dessen Schutz genossen. Gegenwärtig standen zwei Libertiner, Pocque und Quintin, bei ihr in Gunst; was Calvin diesen vorwarf, zeigt der Brief. Der Herr de Clairac ist Gerard Roussel, der Hofprediger und Beichtvater der Königin.
Verteidigung gegen die Verleumdungen durch französische Libertiner.
Madame, von einem Mann aus hiesiger Stadt erhielt ich einen Brief, geschrieben in Ihrem Auftrag, wie er sagt, durch den ich vernahm, Sie seien recht unzufrieden mit mir wegen eines Buches, das ich verfasst und dem ich den Titel gegeben habe: Gegen die Libertiner. Es täte mir leid, Sie betrübt zu haben, wenn es nicht zu Ihrem Heil wäre; denn solche Traurigkeit ist, wie St. Paulus sagt [2. Kor. 7, 8 – 10], so gut, dass man es nicht bereuen muss, sie verursacht zu haben. Aber ich weiß nicht, Madame, wie das Buch sie so erregen konnte. Mein Berichterstatter deutet mir an, der Grund sei, dass es gegen Sie und Ihre Diener gerichtet sei. Was Sie betrifft, so war es durchaus nicht meine Absicht, Ihre Ehre anzutasten oder die Ehrfurcht zu mindern, die alle Gläubigen Ihnen schuldig sind. Ich sage sogar, die wir Ihnen allesamt schuldig sind, um der königlichen Majestät willen, zu der unser Herr Sie erhoben hat, um des hohen Hauses willen, von dem Sie abstammen, und um des Vorzugs willen, der auf Ihnen ruht, in weltlicher Hinsicht. Denn wer mich kennt, weiß, dass ich nicht so ungebildet und unhöflich bin, die Fürstlichkeiten, den irdischen Adel und was zur menschlichen Staatsordnung gehört, zu verachten oder verächtlich zu machen. Aber noch mehr, ich kenne ja auch die Gaben, die unser Herr in Sie persönlich gelegt hat, und wie er sich Ihrer bedient und Sie benutzt hat zum Fortschritt seines Reiches. Das gibt mir Anlass genug, Sie zu ehren und Ihre Ehrung mir angelegen sein zu lassen. Auch bitte ich Sie, Madame, lassen Sie sich ja nicht überreden von Leuten, die, indem sie Sie gegen mich aufreizen, weder Ihren Nutzen, noch meinen Schaden suchen; sondern bloß Sie zu entfremden trachten von der liebevollen Zuneigung, die Sie der Kirche Gottes entgegen bringen, und Ihnen den Mut nehmen wollen, dem Herrn Jesus und seinen Gliedern zu dienen, wie Sie es bis auf diese Stunde getan haben. Was Ihre Diener angeht so glaube ich, Sie werden wohl Ihre Hausgenossenschaft nicht für besser halten als die unseres Herrn Jesu, von der ein Glied ein Teufel genannt wurde, sogar ein Diener, der am Tisch des Meisters saß und im Ehrenrang eines Gesandten des Gottessohns stand. Ich war freilich nicht so unbedacht, in meiner Schrift Ihren Hof direkt zu nennen, sondern ich tat so, als ob die, von denen ich zu reden hatte, Sie gar nichts angingen, und redete wahrheitsgemäß und wie vor Gottes Angesicht. Es bleibt noch zu betrachten, ob ich etwa zum Vergnügen diese Leute verlästert habe, oder ob mich ein gewichtiger, guter Grund, ja sogar die Notwendigkeit, dazu zwang, sie so zu tadeln. Nun, Madame, ich denke so hoch von Ihnen, dass Sie, wenn Sie über alles wohl unterrichtet sind, nicht nur entschuldigen werden, was ich tat, sondern meine Geradheit lobenswert finden werden.
Ich sehe eine Sekte, gefährlicher und abscheulicher, als je in der Welt war. Ich sehe, dass sie großen Schaden anrichtet und ein Feuer ist, das alles zerstört und verderbt, oder wie eine ansteckende Krankheit, die die ganze Erde verseucht, wenn man nicht heilend eingreift. Da mich nun unser Herr zu diesem Amt berufen hat, so zwingt mich mein Gewissen, hier Widerstand zu leisten, soviel ich kann. Es kommt noch dazu, dass mich die armen Gläubigen heiß und heftig beschworen und angetrieben haben, gleich und ohne Zögern Hand ans Werk zu legen, weil sie sahen, dass die kaiserlichen Niederlande schon ganz verseucht waren. Trotz solcher Forderungen schob ich es doch noch ein ganzes Jahr hinaus, um zu sehen, ob das Übel nicht gestillt werden könne, wenn man dazu schwiege. Wendet man mir nun ein, ich hätte wohl gegen die böse Lehre schreiben können, die Personen aber in Ruhe lassen, so habe ich eine mehr als stichhaltige Entschuldigung. Ich wusste, wie Herr Antoine Pocque Verderben gestiftet hat in den Ländern Artois und Hennegau, aus den Berichten der Brüder, die gerade deswegen nach Genf gekommen sind; ich habe es hier selbst gehört. Ich wusste, dass Quintin kein anderes Ziel erstrebt, als arme, einfältige Seelen zu dieser mehr als viehischen Sekte herüberzuziehen; ich hörte das nicht aus Berichten dritter Leute, sondern mit meinen eignen Ohren. Ich erfuhr, dass die beiden immer dahinter her sind, die reine Lehre umzustürzen, arme Seelen ins Verderben zu ziehen, Verachtung Gottes zu erzeugen in den Leuten; urteilen Sie selbst, Madame, ob ich da heucheln durfte. Ein Hund bellt, wenn er sieht, dass man seinen Herrn angreift. Ich wäre sehr feig, wenn ich Gottes Wahrheit so angegriffen sähe, und bliebe stumm und gäbe keinen Laut. Ich bin fest überzeugt, dass Sie nicht meinen, zu Ihren Gunsten würde ich zum Verräter an der Verteidigung des Evangeliums, die Gott mir anvertraut hat. Deshalb bitte ich Sie, Madame, stoßen Sie sich nicht daran, wenn ich, gezwungen durch meine Amtspflicht bei Strafe des Zornes Gottes, Ihre Diener nicht geschont habe, ohne mich irgendwie gegen Sie selbst zu wenden.
Wenn Sie mir nun sagen, einen solchen Diener wie mich wollten Sie nicht, so gestehe ich, dass ich freilich Ihnen keine großen Dienste leisten kann. Denn ich habe dazu keine Gelegenheit, und Sie brauchen es gar nicht. Aber wenn es darauf ankommt, dass die Liebe nicht fehlt, – und solange ich lebe, so bleibe ich dabei stets nach Gottes Wohlgefallen -, so wird es mich nicht hindern, auch wenn Sie meinen Dienst verschmähen, von Herzen und mit dem besten Willen Ihr ergebener Diener zu sein. Übrigens, wer mich kennt, weiß, dass ich nie danach gestrebt habe, Einlass zu finden an Fürstenhöfen, ebenso wenig wie ich je in Versuchung kam, nach weltlichem Ehrenrang zu trachten. Hätte ich es versucht, es wäre möglicherweise umsonst gewesen. Aber ich danke unserm Herrn, dass ich nie in Versuchung kam. Denn ich habe genug Anlass zur Zufriedenheit, dass ich einem so guten Herrn dienen darf, der mich aufgenommen und festgehalten hat in seinem Haus, indem er mich in ein Amt setzte, das ehrwürdig und ausgezeichnet ist, auch wenns noch so verächtlich dasteht in den Augen der Welt. Ich wäre zu undankbar, wenn ich nicht diese Stellung allen Reichtümern und Ehren der Welt vorzöge. Was nun den Vorwurf der Untreue angeht, den Sie mir machen, und zwar so scharf, als hätte ich meine Überzeugung widerrufen, so muss ich Ihnen erklären, Madame, dass Sie schlecht unterrichtet sind. Denn unser Herr hat mich nie dahin gebracht, dass man von mir das Martyrium für meinen Glauben verlangte. Ich will mich nicht rühmen, als hätte ich es gekonnt, wenn es ihm gefallen hätte, mich in der Art zu prüfen; aber daran zweifle ich nicht, da er mir die Treue gegeben hat, mein Leben in Gefahr zu bringen um eines Menschen willen, bloß im Gedanken an Gottes Wort, so würde er mir auch mit seiner Kraft beigestanden haben, wenn es sich darum gehandelt hätte, seinen Namen zu verherrlichen. Soviel ist sicher, dass er mich vor dem Vorwurf bisher bewahrt hat, meine Überzeugung offen oder verdeckt widerrufen zu haben. Was noch mehr ist, ich habe stets eine solche Feigheit verabscheut, Jesum Christum zu verleugnen, um das Leben oder den Besitz zu retten, sogar, behaupte ich, zur Zeit als ich noch in Frankreich war, wofür mir mehrere Leute als Zeugen dienen können. Aber damit Sie recht sicher sein können, dass die Leute, die Ihnen solches von mir berichtet haben, die Bereitwilligkeit, mit der Sie sie allzu freundlich anhörten, missbraucht haben, berufe ich mich darin auf den Herrn de Clairac. Der kann Ihnen sagen, dass das eine falsche Verleumdung ist, die man mir zufügt, und die ich nicht auf mir sitzen lassen darf, da dadurch der Name Gottes gelästert würde. Denn, obwohl ich persönlich nichts bin, so hätte doch, da es Gott gefallen hat, mich zu brauchen als Werkzeug beim Bau seines Reichs, ein solcher Vorwurf die Folge, mit meiner Person die evangelische Sache in schlechten Ruf zu bringen. Ich preise aber Gott dafür, dass er dem Satan nicht soviel Macht über mich gegeben hat, und sogar meiner Schwachheit dadurch zu Hilfe gekommen ist, dass er mich nie auf die Probe gestellt hat, weder durch Folter noch durch Gefängnis.
Ich bitte Sie, entschuldigen Sie mein kurzes, verworrenes Schreiben; denn gleich, nachdem ich die Nachricht von Ihrer Unzufriedenheit mit mir erhalten hatte, wollte ich versuchen, Sie wieder zufrieden zu stellen über das, was mich anging; aus keinem andern Grund, als damit ich nicht Ursache werde, dass Sie kühler würden oder abwendig von der Liebe, die Sie bisher gegen die armen Gläubigen bewiesen haben. Darauf nun, Madame, empfehle ich mich ergebenst Ihrer Gnade und bitte den Herrn Jesus, Sie zu behalten in seinem Schutz und Sie zu führen durch seinen Geist, in Klugheit und Eifer Ihren heiligen Beruf auszuüben.
Genf, 28. April 1545.
Ihr sehr ergebener und gehorsamster Diener im Herrn
Johannes Calvin.