Zwingli, Huldrych – An den Rath zu Memmingen.

Den 10. Okt. 1530.

Gnade und Friede von Gott zuvor. Ehrsame, weise, günstige, theuerste Herren und Brüder in Gott! Ich bitte Euch durch Jesum Christum, unsern Herrn, um dessentwillen Ihr in Gefahr steht, mein Schreiben nicht übel aufzunehmen, das ich fürwahr nicht aus Frechheit oder Vorwitz, sondern aus Sorgfalt und Treue schrieb. Denn weil wir uns mit den Fröhlichen freuen, und mit den Weinenden trauern müssen, sollen wir uns auch mit den Aengstlichen ängstigen und bekümmern, nicht als solche, die an ihrem Gott zweifeln, sondern als solche, die sich vorsehen, daß Niemand in Zweifel falle oder geärgert werde. Wie denn auch der h. Paulus sagt: wer wird geärgert, und ich brenne oder ängste mich nicht? Ich sandte daher, so wenig Ansehen ich auch besitze, um so vortreffliche Männer zu ermahnen, in bester Absicht Euch, liebste Herren und Brüder, diesen meinen Trost, nicht daß ich an Eurer Treue und Standhaftigkeit zweifelte, sondern um Euch zu warnen, an Nichts, das Euch begegnen könnte, Euch zu ärgern. Nun ist kein Zweifel, wie auch die heidnischen Philosophen bekennen, daß Tugend und Gerechtigkeit eine so große und köstliche Sache ist, daß sie niemand völlig erlangt, als wer zu sterben wagte. Denn das ist gewiß, daß alle Rechtschaffenen so vielen und so großen Nachstellungen ausgesetzt sind, daß wenn sie sich überhaupt nicht verschätzten, eher den Tod erleiden, als von der Rechtschaffenheit abtreten, sich abführen und aus Furcht die Gerechtigkeit verlassen würden; darum muß die Verachtung seiner selbst auch in der gemeinen Gerechtigkeit an die Spitze gestellt werden, oder man wird flüchtig. Wie viel mehr müssen wir in der Sache der christlichen Religion und des Glaubens, der nichts Anderes ist, als der völlige Tod des Fleisches und das Leben des Geistes, uns schon längst verachtet, und es dahin gebracht haben, daß wir allein dem himmlischen Hauptmann gefallen, in dessen Heer wir uns einschreiben ließen. Bedenket, theuerste Herren und Brüder, ob es nicht in der ganzen Christenwelt so wenig christlich, so gottlos und elend stehe, daß jedes Menschen Gewissen selbst dieß Urtheil spricht: wir müssen uns durchaus bessern, oder Gott wird uns strafen; da nun dieß Aller Gemüther bekennen und Alle sehen, daß diese gottlosen Sitten durch die verkehrte Lehre des Papstes entstanden und erwachsen seien, so daß man nicht hoffen darf, sie werden durch diese Lehre auf den rechten Weg geführt werden, so ist durchaus kein Zweifel, daß wir keine andere Lehre festhalten sollen, wenn wir unsere Sitten bessern, und mit Gott versöhnt ^Verden wollen, als das Wort Gottes selbst. Denn wer kann uns den Willen Gottes besser lehren, als sein Wort? Wo also Gott sein Wort offenbart und darstellt, da sind wir gewiß, daß seine Gnade offen steht und angeboten wird: denn wenn er seinen Willen durch sein Wort offenbart, thut er es nur deßhalb, damit wir die Dinge, die in seinem Wort als ihm gefällig erkannt werden, annehmen, und hingegen die, welche seinem Wort widerstreiten, verwerfen und verabscheuen. Da aber der allmächtige Gott Euch sein heiliges Evangelium geoffenbaret hat, worin uns sicheres Heil verheißen, und die Weise eines frommen Lebens in Christo Jesu vorgebildet ist, so sollt Ihr ohne Zweifel Gott den größten Dank sagen, daß er Euch in der Gefahr und Drohung seines Zorns den Weg zeigte, auf dem Ihr mit ihm versöhnt werden könnt. Und wenn die Menschen Euch darum zu hessen, ja zu verfolgen und zu tödten wagen, sollen diese Drohungen Euch etwas Geringes sein, wie wenn Einem eine reiche, schöne, sittsame Tochter zur Ehe beworben werden sollte, um die ein Anderer auch werben würde, der, welchem sie folgen will, sich nicht schrecken oder vertreiben ließe, darum, daß es heißt: laß ab, denn der andere Freier wird dich besiegen. Also, wenn Euch die Leute von der theuren Tochter, der Kirche Jesu Christi abziehen wollen, darum, daß sie Euch als Feinde zu verfolgen drohen, sollt Ihr die Menschen verachten, und Euch nichts um sie kümmern, denn der Gewinn und die Güter, die wir von Gott empfangen werden, sind ganz andere, als die, welche uns die Menschen versprechen. Was nutzt es aber einem, wenn er sich auch aller Leute Gunst verschafft, dabei aber Gottes Gnade verliert? Steht unsre Hoffnung auf Zeitliches oder Ewiges? Müssen wir uns nicht vor dem allein fürchten, der Leib und Seele in das ewige Feuer senden mag? Da nun jetzt, wie mich däucht, die Zeit vorhanden ist, wo Ihr aufgefordert seih. Euren Glauben zu bekennen, so erwäget, liebste Herren und Brüder, daß Christus unser Feldherr droht, wer ihn verläugne, den werde er auch verläugnen bei seinem Vater, und wiederum, wer ihn vor den Menschen bekannt habe, den werde er auch vor seinem Vater bekennen. Da nun dieß so ist, so bekennet die Wahrheit frei, und überlasset dem Feldherrn Christus Eure Sache bei dem höchsten Könige, dem himmlischen Vater zur Besorgung in der festen Zuversicht, er, der Euch Licht und seinen Geist gab, werde, was er angefangen, vollführen. Er führte uns zuerst durch kleine Dinge an, sollte er uns in den wichtigsten verlassen? Verachtet Eure und der Feinde Kräfte, dagegen sehet, wie mächtig der ist, dessen die Sache ist, die ihr annahmet, und der Ihr glaubet und dienet. Wo hat er, die ihm vertrauten, je verlassen? Hat er nicht durchaus alle Macht der Menschen geschwächt und zu Boden geschlagen? Er ists, der Pharaoh, Abimelech und Amorrheus schlug. Er ist die Kraft aller Dinge, und nichts lebt, als nur in ihm; so müssen auch Eure Feinde durch seine Kraft leben, ja so kann er ihnen alle Kraft nehmen, und Euch geben, und ohne seinen Willen werden die Feinde nichts vermögen. Sehet vor Allem, theuerste Herren und Brüder, daß ihr unter einander einmüthig und einträchtig seid; denn wo Eintracht ist, da war kein Städtchen so klein, daß es nicht bei Ehren blieb, dagegen, wo Zwietracht, da war kein Reich so groß, daß es nicht zerfiel. Seid klug, liebste Herren, und sehet Euch um auch nach andern Christen, was Gott ebenso gefällt, daß die, welche eines Geistes sind auch Gottes Werk und Streit mit einander ausrichten, Alles im Herrn, in Eintracht und Treue. Denn ich verspreche Euch bei Gott, den ich predige, wenn Ihr einmüthig seid und keine betrüglichen Zinse und Untreue herrschen lasset, so wird Euch Gott gewiß erhalten, aber lasset Euch nur nicht trennen, und falls Einige über den Glauben noch nicht genug unterrichtet sind, sollen sie doch bedenken, daß ihr Glück und Gut zugleich mit den Eurigen zu Grunde gehen würde, wenn sie sich von Euch trennen würden. Seid dem mächtigen und „ungczweifelten“ Gott befohlen. Gehorchet Simpert Schenk, dem treusten Diener des Evangelii, dann wird es mit Eurer Sache gut stehen. Nehmet Alles Bestens an.

Eurer Ehrsamen Weisheit allzeit williger Ulr. Zwingli.

Quelle:
Auserlesene geistvolle Briefe Der Reformatoren und sonstiger bedeutender Männer der evangelischen Kirche Zur christlichen Erbauung und Belehrung von C.E. Renner, evangelischem Pfarrer. Stuttgart. C. Cammerer (früher H. W. Beck’s Verlag.) 1862