Luther, Martin – An Melanchthon. Aus dem Lateinischen. Augsburg den 11. Oktober 1518

Segen von Christo zuvor! Liebster Herr Philippus! Johannes Böschenstein habt Ihr mir selber so sehr empfohlen, dass ich ihn nicht erst Euch hiermit zu empfehlen brauche. Er ist, sehe ich, ängstlich und kleingläubig, wodurch aber Eure Freundschaft keine Einbuße erleiden darf. Ich bitte vielmehr Euch und die andern Freunde, erzeigt Euch sanftmütig und herzlich gegen ihn. Von meiner Angelegenheit wird Euch Doktor Karlstadt unterrichten. Es geschieht nichts besonderes Neues; ich bin in aller Munde, und jeder begehrt den Menschen zu sehen, der eine so gewaltige Feuersbrunst entfacht hat.

Bewährt Euch weiterhin als ein Mann und lehrt der Jugend die Wahrheit; ich gehe hin, für Euch und sie mich opfern zu lassen, wenn es Gott so gefällt. Ich will lieber zugrunde gehen und, was mir am allerschwersten wird, auch Euren lieben Umgang auf immer entbehren, als dass ich widerrufe, was ich recht gelehrt habe, und als dass ich der Anlaß werde zum Untergang edler Wissenschaft.

Durch die Schuld meiner unwissenden Gegner, der heftigsten Feinde der Wissenschaft und Gelehrsamkeit, ist Italien in tiefe äpyptische Finsternis versunken. So gut wie nichts wissen sie von Christus und was Christi ist; und doch sind sie Herren und Lehrer unsres Glaubens und unsres Lebens. So wird der Zorn Gottes über uns erfüllt, der sagt: „Ich will ihnen Jünglinge zu Fürsten geben, und Kindische sollen über sie herrschen.“ Lebt wohl, lieber Philippus, und wendet Gottes Zorn durch reines Gebet von uns ab.

Augsburg Montag nach Dionysii 1518

Bruder Martinus Lutherus

Quelle:
Martin Luther Briefe In Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald Erster Band Leipzig / Im Inselverlag / mdccccix