Calvin, Jean – An Melanchthon in Wittenberg (349)

Melanchthon hatte Calvin ein ziemlich klägliches Briefchen geschrieben mit Nachrichten über die deutschen Kriegsnöte und die Pest. Er hatte darin gesagt, wenn er nochmals in die Verbannung gehen müsse, so werde er zu Calvin kommen. Calvin hatte ihn in Worms kennen gelernt. Zum Inhalt vergleiche auch 298. Über Osiander vgl. 339; er war am 17. Oktober gestorben, doch wusste Calvin dies noch nicht.

Über Einigkeit in der Lehre im Allgemeinen und der Prädestinationslehre im Besonderen.

Angenehmer als dein Brief, den ich anderthalb Monate nach seinem Abgang erhielt, konnte mir in dieser Zeit nichts kommen. Denn zu den ungeheuren Schwierigkeiten, die mich hart genug plagen, kommt fast jeden Tag ein neuer Schmerz oder eine neue Sorge. So müsste ich unter der Last der Leiden, die auf mir liegt, bald vergehen, linderte mir nicht der Herr selbst ihre Schärfe mit seinen Arzneien. Darunter wars kein Kleines, dass ich erfuhr, dass auch du so ziemlich wohl seiest, so weit es dein Alter und die zarte Konstitution deines Leibes erlaubt. Auch dass in deiner Liebe zu mir keine Änderung eingetreten ist, versichert mir dein Brief. Denn es war mir berichtet worden, du seiest durch mein vielleicht allzu freimütiges Mahnen einmal so beleidigt gewesen, dass du den Brief vor einigen Zeugen zerrissen habest. Wenn auch diese Botschaft zu unglaublich klang, so schien sie doch in deinem langen Schweigen und andern Zeichen ihre Bestätigung zu finden, und schließlich musste ich doch etwas vermuten. Umso lieber erfahre ich jetzt, dass unser Verhältnis zueinander heil geblieben ist, wie es sicher, entstanden aus gemeinsamer Leidenschaft fürs Gute, stets heilig und unverletzlich bleiben sollte. Und wie es gar sehr in unserm persönlichen Interesse liegt, die Freundschaft, die Gott in seinem Namen geheiligt hat, in guten Treuen und unerschütterlich bis ans Ende zu pflegen, so handelt sichs dabei auch um Nutzen und Schaden der ganzen Kirche. Denn du siehst, wie vieler Menschen Augen auf uns gerichtet sind; wie die Bösen aus unserm Zwist Anlass zum Lästern suchen, wie die Schwachen auch schon durch die schwächste Eifersüchtelei verwirrt würden. Nicht wenig liegt daran, dass auch zu den Nachkommen kein Verdacht dringe, als sei Uneinigkeit unter uns entstanden. Denn mehr als unsinnig wäre es, wenn wir, die wir uns von der ganzen Welt trennen mussten, gleich im Anfang einer vom andern sich losrisse. Wenn ich nun auch anerkenne und gern gestehe, wie tief unter dir ich stehe, so weiß ich doch, zu welchem Rang Gott mich auf seinem Weltschauplatz erhoben hat, und kann es deshalb nicht verschweigen, dass unsere Freundschaft nicht ohne großen Schaden für die Kirche in Brüche gehen könnte. Und ohne an andere zu denken, ermiss es aus deiner Gesinnung heraus, wie herb es mir wäre, einem Manne fremd zu werden, den ich liebe und verehre wie keinen andern, und den Gott, um ihn seiner ganzen Kirche vor Augen zu stellen, nicht nur mit einer einzigartigen Begabung herrlich ausgestattet, sondern auch als seinen ersten Diener zu großen Taten gebraucht hat. Das wäre ja eine wunderliche, ja abenteuerliche Gefühllosigkeit, wenn wir die heilige Übereinstimmung, an der den himmlischen Engeln in aller Welt gelegen sein müsste, so leichthin für nichts achten wollten.

Indessen hört Satan nicht auf, überall den Samen der Zwietracht auszustreuen, und unsere Sorglosigkeit bewirkt, dass er dazu viel Stoff findet. Schließlich findet er auch seine Werkzeuge, den Brand zu schüren. Soll ich berichten, was in unsrer Kirche zur größten Qual aller Frommen geschehen ist? Schon ein ganzes Jahr ist nun verflossen, seit wir in diesen Kämpfen hin und her geworfen werden. Einige windige Gesellen, die wegen der Gnadenwahl Gottes und der armseligen Unfreiheit des menschlichen Willens mit uns Streit anfingen und öffentlich Lärm schlugen, wussten nichts Passenderes zu unsrer Beschuldigung vorzubringen, als dass sie deinen Namen vorschützten. Als sie merkten, wie leicht es uns war, all die Einfälle, die sie vorbrachten, zu widerlegen, versuchten sie uns mit dem Kunstgriff zu vernichten, wir wollten uns offen von dir trennen. Wir hielten aber [in unsern Behauptungen] solle Mäßigung inne, dass sie keineswegs herausbrachten, was sie in ihrer Schlauheit wollten. Wir bekannten also, ich und alle meine Kollegen, das gleiche Lehrziel, das dir vorschwebe, sei auch uns gesetzt, und im ganzen Streite fiel kein Wort, das für dich weniger ehrerbietig war, als sich ziemte, oder dir das Vertrauen entzogen hätte. Und doch kann ichs nicht hindern, dass mich oft der stille Gedanke furchtbar quält, den Bösen könnte nach unserm Tod die Gelegenheit bleiben, die Kirche zu ärgern, so oft sie wollen, indem sie sich widersprechende Sätze zweier Männer in den Kampf führen, denen es angestanden hätte, wie aus einem Mund ein und dasselbe zu sagen.

Dass sich Osiander uns entzogen, ja sich nicht ohne gewaltsamen Bruch von uns losgerissen hat, ist weder wunderbar, noch sehr bedauerlich. Du hast ja schon früher erfahren, dass er zu den Tieren gehört, die sich nicht bändigen lassen, und ich habe ihn stets zu denen gezählt, die eine Schmach für uns sind. Am ersten Tag, an dem ich ihn sah, habe ich den unheiligen Sinn und das hässliche Benehmen dieses Mannes verabscheut. So oft er einen süßen, edeln Wein loben wollte, führte er den Spruch im Munde: Ich bin, der ich bin [2. Mose 3, 14], oder: Das ist der Sohn des lebendigen Gottes [Joh. 6, 69]; das verriet doch offenen Spott über Gott. Umso mehr wunderte ich mich stets über die Nachsicht, mit der Ihr alle eine solche Bestie hegtet. Besonders erstaunt war ich, in einer deiner Vorreden eine Stelle zu lesen, in der er, obwohl er in Worms ein Muster seiner Verrücktheit geliefert, mehr als reichlich mit Lob bedacht war. Aber weg mit dem, denn je weiter er von uns weg ist, umso besser! Einige andere möchte ich lieber festgehalten wissen.

Doch um auch diese beiseite zu lassen, – es schmerzt mich nicht wenig, dass in unserer Lehrart zu offen ein Widerspruch zu Tage tritt. Ich weiß zwar wohl, wenns nach menschlicher Autorität geht, so wäre es weit billiger, dass ich dir beipflichte, als dass du dich zu meiner Meinung herbeiließest. Aber darum handelt es sich ja nicht, und das wäre von frommen Dienern Christi ja gar nicht zu wünschen. Das aber darf man von beiden Teilen verlangen, dass wir uns einigen auf die reine Wahrheit Gottes. Mir verbietet es aber, ums ehrlich zu gestehen, mein Gewissen, dir in diesem Teil der Lehre zuzustimmen, weil mir scheint, vom freien Willen lehrest du zu sehr nach Philosophenart, und bei der Behandlung der Gnadenwahl habest du dir nichts anderes vorgenommen, als dich der allgemeinen Auffassung der Menschen anzupassen. Einem bloßen Versehen kann mans doch wohl nicht zuschreiben, dass du, scharfsinniger, kluger und in der Schrift wohl erfahrener Mann, die Gnadenwahl Gottes mit den Verheißungen, die allen gelten, verwechselst! Denn es ist doch nichts bekannter, als dass die Predigt des Wortes allen ohne Unterschied gemeinsam gilt, der Geist des Glaubens aber den Auserwählten allein als besonderes Vorrecht geschenkt wird. Allgemein gültig sind die Verheißungen. Woher kommts dann also, dass nicht bei allen ihre Wirkung gleich stark ist? Nur, weil Gott nicht allen seines Armes Macht offenbart. Auch bei nur mittelmäßig in der Schrift bewanderten Leuten braucht das ja gar keine weitere Verhandlung, dass zwar die Verheißungen allen die Gnade Christi anbieten und durch die äußere Verkündigung Gott einen jeden zur Seligkeit einladet, der Glaube aber eine besondere Gabe ist. Ich glaube, diese ganze Frage, so schwierig und stachelig sie ist, in einem vor kurzem veröffentlichten Buche einleuchtend erläutert zu haben. Da die Sache so klar liegt, so wirst du keinen vernünftig urteilenden Menschen davon überzeugen, dass du wirklich von Herzen etwas ganz anderes lehrst. Es steigert meine Sorge und meinen Schmerz zugleich, dass ich sehe, wie du in dieser Sache beinahe nicht der gleiche Mensch bist wie sonst. Denn ich habe gehört, du habest, als man dir unsern Consensus mit den Zürchern vorlegte, gleich die Feder ergriffen und den einen Satz durchgestrichen, der die Erwählten Gottes genau und nüchtern von den Verworfenen trennt. Das weicht jedenfalls von der Gelassenheit deines Wesens, um von anderm zu schweigen, sehr ab. So will ich dich gar nicht bitten, mein Schriftchen zu lesen oder auch nur zu kosten; ich würde es doch wohl umsonst tun. Könnten wir doch einmal über diese Dinge miteinander reden! Bekannt ist mir ja deine Lauterkeit, deine durchsichtige Offenheit und deine Mäßigung; deine Frömmigkeit aber ist allen Engeln und Menschen wohl bezeugt. So ließe sich hoffentlich diese Sache leicht unter uns schlichten. Deshalb, wenn je sich Gelegenheit böte, wäre mir nichts erwünschter, als zu dir zu eilen. Trifft aber ein, was du fürchtest, so wird es mir in meinen armseligen, traurigen Verhältnissen kein geringer Trost sein, dich noch zu sehen und umarmen zu dürfen, ehe ich aus dieser Welt scheiden muss.

Wir genießen hier übrigens durchaus nicht der Ruhe, wie du meinst. Im Innern viel Arbeit, Schwierigkeiten, selbst ernstliche Unruhen. Draußen, fast in Sehweite, sind die Feinde, von denen jeden Augenblick unserm Hals neue Gefahr droht. Von Burgund sind wir nur fünf Wegstunden entfernt. Vom französischen Gebiet kommt man in weniger als einer Stunde vor unsere Tore. Weil aber nichts seliger ist, als zu kämpfen unter der Fahne Christi, so brauchen dich diese Schwierigkeiten nicht abzuschrecken, uns zu besuchen. Unterdessen leistest du uns schon einen Liebesdienst, wenn du uns von deiner und der ganzen Kirche Lage berichtest. Lebwohl, hochberühmtester Mann und mir von Herzen verehrter Bruder. Der Herr behüte dich mit seinem Schutz, leite dich mit seinem Geist und segne dein frommes Wirken. Meine Kollegen und viele fromme, tapfere Leute lassen dich ehrerbietig grüßen.

Genf 18. November 1552.
Dein
Johannes Calvin.

Calvin, Jean – An Melanchthon in Wittenberg (298)

Das Leipziger Interim hatte mit Zustimmung Melanchthons manche katholischen Kultusformen, vor allem den katholischen Priesterornat, als unwichtige Äußerlichkeit (Adiaphoron) erklärt; deswegen wurden die Wittenberger Theologen von den in Magdeburg sich haltenden Interimsgegnern scharf bekämpft; diese Stadt wurde von Moritz von Sachsen als Vollstrecker der Reichsacht belagert.

Vorwürfe wegen Melanchthons Stellung in der Interimszeit.

Der alte Satirendichter sagt: Wems die Natur nicht erlaubt, den macht die Entrüstung zum Dichter. Mir geht’s jetzt aber ganz anders. Der Schmerz, den ich eben empfinde, macht mich so wenig beredt, dass mir vielmehr die Sprache fast versagt. Denn abgesehen davon, dass mir die Worte fehlen, meine Gemütsbewegung auszudrücken, erschreckt mich schon allein der Gedanke an die Sache, über die ich schreiben muss, derart, dass ich fast stumm bin. Ich möchte, dass du, was ich sage, eher als ein Stöhnen denn als ein Reden ansehest. Wie die Feinde Christi Euer Kampf mit den Magdeburgern belustigt, ist aus ihren Späßen und Karikaturen bekannt genug. Sicher ein hässliches und für Gott und seine Engel, aber auch für die ganze Kirche abscheuliches Schauspiel wird da geboten. Da, mein lieber Philippus, wäre es, auch wenn keine Schuld an dir haftete, die Pflicht deiner Klugheit und Rechtlichkeit, entweder ein Mittel zur Hebung oder doch eines zur Linderung des Übels zu finden. Aber verzeih, wenn ich auch dich nicht von aller Schuld freispreche. Du kannst daraus den Schluss ziehen, wie hart das Urteil anderer Leute über dich ist, und wie ungünstig und gehässig von dir gesprochen wird. Erlaube daher, mein lieber Philippus, dass ich durch eine freimütige Ermahnung meine Pflicht als dein wahrer Freund tue, und wenn ich ein wenig scharf mit dir spreche, so glaube nicht, es sei in meinem alten Wohlwollen und meiner Verehrung für dich nur das Geringste anders geworden. Auch das wird dir nicht neu und ungewohnt sein, dass ich lieber durch derbe Offenheit Anstoß gebe, als dass ich schmeichlerisch irgendeinen Menschen zu Liebe rede. Weil ich meinerseits erfahren habe, dass dir nichts lieber ist als Ehrlichkeit, so bin ich auch nicht ängstlich, du könntest meinen Tadel übel nehmen, wenn meine Missbilligung berechtigt ist. Freilich wünschte ich, alles, was du tust, fände ausnahmslos meine und anderer Leute Billigung. Nun aber klage ich dich bei dir selbst an, um nicht denen beipflichten zu müssen, die dich ungehört verurteilen.

Du verteidigst dich hauptsächlich damit, wenn nur die reine Lehre festgehalten werde, so dürfe man über Äußerlichkeiten nicht hartnäckig kämpfen. Wenn aber wahr ist, was allgemein als gewiss behauptet wird, so dehnst du den Begriff der neutralen, unwichtigen Dinge recht weit aus. Du weißt wohl, dass der Gottesdienst bei den Papisten auf tausend Weisen entstellt ist. Die unerträglichsten Verderbnisse haben wir aufgehoben. Jetzt gebieten die Gottlosen, um über das Evangelium triumphieren zu können, wir sollen sie wieder einführen. Wenn jemand ohne Zögern sich weigert, das zu tun, schreibst du das seiner Hartnäckigkeit zu? Wie fern das deiner maßvollen Art läge, weiß ich. Wenn du bereitwilliger warst im Nachgeben, so darfst du dich nicht wundern, dass das dir vielmehr von vielen als Fehler angerechnet wird. Rechne noch dazu, dass von den Dingen, die du unwichtig nennst, einige in offenem Widerspruch zu Gottes Wort stehen. Vielleicht wird ja einiges von andern allzu streng genommen, und wie es in der Polemik geht, manches gehässig übertrieben, was nicht so schlimm ist. Aber wenn ich etwas von göttlichen Dingen verstehe, so durfte doch so viel den Papisten von dir nicht zugestanden werden, teils weil du freigegeben hast, was der Herr durch sein Wort festgelegt hat, teils weil du Anlass botest zu übermütiger Verhöhnung des Evangeliums. Hat nicht Paulus, als die Beschneidung doch noch erlaubt war, diesen von Gott gestifteten Brauch hartnäckig abgelehnt, weil listige, böswillige Vogelsteller damit der Freiheit der Christen eine Falle stellen wollten? Ja, er rühmt sich, keinen Augenblick ihnen nachgegeben zu haben, damit die Wahrheit des Evangeliums bestünde bei den Heiden [Gal. 2, 5]. Heute belästigen uns unsere Feinde und nicht wegen der Beschneidung; sondern um nichts unverfälscht zu lassen, durchsäuern sie die Lehre und alle frommen Übungen mit ihrem faulen Sauerteig. Wenn du sagst, die Magdeburger zankten nur um den linnenen Chorrock, so weiß ich nicht, was das bedeutet. Der Gebrauch des linnenen Chorrocks samt vielen andern Torheiten ist doch, wie ich glaube, bei Euch wie bei ihnen bisher beibehalten worden. Aber überall seufzen gute, fromme Leute, du habest auch zu viel ärgeren Verderbnissen die Hand geboten, die offen dazu führten, die Reinheit der Lehre zu verderben und die Kirche ins Wanken zu bringen. Hast du vergessen, was ich dir einst gesagt, so will ich dir es jetzt wieder ins Gedächtnis rufen: Viel zu teuer ist uns die Tinte, wenn wir zögern, das wenigstens schriftlich zu bezeugen, was so viele mitten aus der Gemeinde der Laien heraus als Märtyrer Tag für Tag mit ihrem Blute besiegeln. Und so sprach ich zu einer Zeit, als wir noch weit vom Geschoß zu sein schienen; jetzt, da uns der Herr in den Kampf geführt hat, müssen wir umso mannhafter kämpfen. Du weißt, deine Stellung ist anders als die vieler anderer. Viel schmachvoller ist die Angst eines Führers oder Bannerherrn, als die Flucht der gemeinen Soldaten. Also anderer Furchtsamkeit kann man schonen, wenn du aber kein stets sich gleich bleibendes Beispiel unbezwinglicher Festigkeit gibst, so sagt jedermann, an einem solchen Mann sei ein Schwanken schon unerträglich. So hast du mit einem bisschen Zurückweichen mehr Klagen und Seufzer hervorgerufen, als hundert mittelmäßige Leute durch offenen Abfall. Freilich bin ich fest davon überzeugt, dass Todesgefahr dich nie dazu bringen könnte, auch nur um eines Nagels Breite vom rechten Wege abzuweichen; aber ich vermute, es konnte geschehen, dass eine andere Art Furcht deinen Mut erschreckte. Denn ich weiß, wie sehr du den Vorwurf unmenschlicher Strenge scheust. Aber du musst auch bedenken, Knechte Christi dürfen um ihren Ruf nicht ängstlicher sein als um ihr Leben. Denn wir sind nicht besser als Paulus, der durch Schmach und Schande sicher vorwärts schritt. Wenn man uns für Starrköpfe und Fanatiker hält, die lieber die Welt in Trümmer gehen lassen, als dass sie sich zu einer Ermäßigung [ihrer Forderung] herbeilassen, so ist das bitter und hart. Aber an solche Namen muss sich dein Ohr schon früher gewöhnt haben. Denn weder bist du mir so schlecht bekannt, noch bin ich dir gegenüber so ungerecht, dass ich die Meinung hätte, du gingest nach der Ehrgeizigen Art mit der Volksgunst. Aber ohne Zweifel machen dich zuweilen solche Vorwürfe wankend: Was, ziemt es einem klugen, bedächtigen Mann, um kleiner, fast abgeschmackter Dinge willen eine Kirchenspaltung zu veranlassen? Sollte man den Frieden nicht mit einem noch erträglichen Nachteil erkaufen? Ists nicht verrückt, immer so auf die Extreme zu sehen, dass die Hauptsache des ganzen Evangeliums vernachlässigt wird? Als einst diese und ähnliche Sätze von schlauen Leuten ausgestreut wurden, da glaubte ich zu bemerken, wie du dich stets mehr als recht davon bewegen ließest, und ich sage dir das ehrlich, damit nichts deine wahrhaft göttliche Geistesgröße hindere, mit der ich dich sonst reichlich ausgerüstet weiß. Der Grund dieser meiner Heftigkeit ist dir nicht verborgen; ich wollte hundertmal lieber mit dir sterben, als dich die von dir verratene Lehre überleben sehen. Ich sage das nicht, weil Gefahr bestünde, die durch deinen Dienst geoffenbarte Wahrheit Gottes könnte untergehen, oder weil ich irgendwie deiner Standhaftigkeit misstraute, sondern nur, weil du dich nie genug hüten kannst, dass die Gottlosen die Gelegenheit zu sticheln, nach der sie trachten, nicht aus deiner Bereitwilligkeit schöpften. Die böse Geschichte mit den Magdeburgern habe ich noch gar nicht berührt. Der sie schützen sollte mit seinen Mitteln an Geld und Macht [Moritz von Sachsen], entblößt sie nicht nur treulos aller Hilfe, sondern ist ihr grausamer Feind. Dass du so frevelhafte Wut durchaus nicht billigst, das brauchst du mir nicht erst entschuldigend zu sagen. Ja, du brauchst mir auch nicht zu bezeugen, wie heftig sie dich plagen; aber wenn du zu manchem schweigst, was du nicht ändern kannst, oder nicht scharf und mutig genug widerstehst, und sie dann finden, das passe nicht zu deiner Menschlichkeit, so wundere ich mich darüber nicht. Denn du weißt wohl, wie besorgt man für Brüder in solcher Lage eintreten müsste. Wenn du meinst, deine Sache sei das nicht, so glaube ja nicht, gute Leute damit zufrieden stellen zu können. Absichtlich lasse ich manches beiseite, um des willen Böswillige oder allzu Leichtgläubige dich tadeln. Z. B. dass du freiwillig in das Gebiet dessen gezogen bist, den du aus manchen Gründen hättest fliehen müssen. Da du aber sicher einen guten Grund gehabt hast, dich so zu entschließen, so will ich, wie gesagt, es unterlassen, solche Urteile über dich wiederzugeben. Aber das muss auch dem sehr billig Denkenden missfallen, dass, während mit bestialischer Wut gegen die Brüder vorgegangen wird, Philippus im feindlichen Lager sitzt und schweigt. Zwar zweifle ich auch nicht, dass den Magdeburgern manches Wort entfahren ist, das dich erbittern musste; aber da du anfänglich genügend einsahest, dass sie wegen der evangelischen Lehre fälschlich angegriffen wurden, so meinten sie, es sei deine Pflicht, aus solchem Grund keine Zertrennung aufkommen zu lassen. Dass sie ungeduldig wurden, als du sie verließest, wundert mich nicht. Kennst du doch das Wort: Wer im Unglück ist, empfindet Alles als Kränkung! Jetzt, da dieser unglückselige Streit weithin ausgebrochen ist und zum großen Schaden der Kirche und zum Schmerz aller Guten wütet, müssen wir alle ein Heilmittel dafür suchen. Ist keins mehr möglich, so verzeih, dass ich diese mehr klagenden als zornigen Seufzer vor dir ausschütte. Lebwohl, hochberühmter und stets von Herzen verehrter Mann. Der Herr fahre fort, dich mit seinem Geiste zu leiten, halte dich aufrecht durch die Kraft seines Geistes und behüte dich mit seinem Schutz. Amen. Grüße, bitte, die Freunde von mir, wenn etwa solche bei dir sind. Hier sind sehr viele, die dich ehrerbietig grüßen lassen. Denn viele fliehen, um den Götzendienst zu meiden, aus Frankreich zu uns in eine freiwillige Verbannung.

[20. Mai 1550.]

Johann Friedrich – An Luther und Melanchthon.

14. December 1545

Vnsern grus zuuor, erwirdiger vnd hochgelarten, leiben andechtiger vnd getrewer. Nachdem iczo magister Johans Friedrich Petzsch vns durch ein schrift angelangt vnd vmb eine condition vnd dienst, darzue er mochte gebraucht werden, oder aber in mangel des vmb ein steuer zu weiter vnderhaltung seins studiumbs vndertheniglich gepeten, als thuen wir Euch solche seine schrift hierinliegend vbersenden, wie Ir daraus sein anzeige bitt vnd erpieten ferner vernehmen werdet. Weil wir inen dann nuhn ein guete zeit hero zu seinem studio verlegt vnd darzue vnderhaltung gereicht haben, so wollen wir vns versehen, er werde sich desselben dermassen gebraucht vnd den vleis angewant haben, ddass er nuhmer zu kirchen empter muge gebraucht werden, derhalben begeren wir gnediglich, Ir wollet inen zu eynem solchen ampt furdern, wie Ir da wol werdet zu thun wyssen, weyl teglich derhalben ansuchen vorfallen, daran geschicht vnsere meinung vnd wir seind Euch mit gnaden vnd gueten geneigt. Datum Torgau, Montags nach Luciae 1545.

Quelle:
Dr. Martin Luthers Briefwechsel
Herausgegeben von Dr. C. A. H. Burkhardt
Leipzig
Verlag von F. C. W. Vogel
1866

Calvin, Jean – An Melanchthon in Wittenberg (135)

Über Luthers Tyrannei und Melanchthons Schwachheit.

Könnt´ ich doch so, wie mich das Mitleid mit deiner Traurigkeit ängstigt, ja eigentlich quält, dir auch irgendwie Erleichterung verschaffen! Wenn die Verhältnisse so sind, wie die Zürcher sie darstellen, so hatten sie allerdings gerechte Ursache zu schriftlicher Erwiderung. Aber entweder hätten sie anders schreiben oder ganz schweigen sollen. Denn abgesehen davon, dass das ganze Büchlein kraftlos und kindisch ist, so entschuldigen und verteidigen sie in vielen Dingen ihren Zwingli mit mehr Rechthaberei als Gelehrsamkeit, und zuweilen mit allzu wenig Bescheidenheit; an Luther übertreiben sie einiges zu Unrecht; besonders aber sind sie meines Erachtens in der Behandlung des Hauptpunktes, d. h. in dem, worum sich der Streit dreht [der Abendmahlsfrage], ganz unglücklich vorgegangen. Und doch glaubst du nicht, wie sehr es ihrem eignen Herzen gefällt, als ob sie ihre Sache aufs allerbeste geführt hätten. Die Zürcher haben zwar schlimm angefangen; wohin aber lässt sich Euer Perikles in seinem maßlosen, Blitze schleuderndem Zorn reißen? Besonders da doch seine Sache um nichts besser ist. Und was bewirkt denn ein solches Lärmen, als dass alle Welt ihn für rasend hält? Ich wenigstens, der ich ihn von Herzen verehre, schäme mich heftig für ihn. Aber das Schlimmste ist, dass niemand es wagt, zur Unterdrückung solch ungebührlichen Benehmens sich ihm zu widersetzen, ja nur zu mucksen. Wir sind ihm alle viel Dank schuldig, das gebe ich zu. Auch ich ließe ihn gern las größte Autorität gelten, wenn er sich nur selbst zu mäßigen wüsste. Freilich muss man in der Kirche stets vorsichtig darauf achten, wie weit man einem Menschen Macht überträgt. Es ist um die Kirche geschehen, wo ein einzelner mehr vermag, als alle übrigen zusammen, besonders wenn er ohne Bedenken probiert, wie groß seine Macht ist. So zerfahren, wie wir die Sache nun sehen, ists schwer, wieder Ordnung in das Wirrsal zu bringen. Aber wäre in uns allen die Gesinnung, wie sie sein sollte, so ließe sich irgendein Heilmittel vielleicht schon finden. Sicher hinterlassen wir unsern Nachkommen ein böses Beispiel, wenn wir lieber alle Freiheit freiwillig von uns werfen, als dass wir des einen Mannes Geist mit einem winzigen Tadel beleidigen. Aber, sagst du, er ist gar heftiger Art und hat Anfälle von Wildheit. Als ob diese Heftigkeit nicht gerade noch mehr zum Ausbruch käme, wenn alle Nachsicht damit üben und ihr alles erlauben. Wenn schon gleich bei Beginn der Wiedergeburt der Kirche ein solches Beispiel von Tyrannei auftaucht, was soll in Bälde geschehen, wenn die allgemeinen Verhältnisse sich verschlechtern? So wollen wir das Unglück der Kirche beklagen, aber nicht nur schweigend diesen Schmerz in uns verwinden, sondern wir wollens wagen, einmal unsern Klagen freien Ausdruck zu geben. Hat nicht die Zulassung des Herrn dich vielleicht gerade deshalb in diese Nöte gebracht, um dir einmal ein vollständigeres Bekenntnis in dieser [Abendmahls-] Frage abzunötigen. Es ist ganz richtig, was du lehrst, das gebe ich zu, und wenn du durch deine milde Lehrart bisher gesucht hast, die Geister vom Zanken abzuhalten, so lobe ich diese deine kluge Mäßigung. Aber wenn du gerade diese Frage wie eine böse Klippe umsegelst, um gewissen Leuten kein Ärgernis zu geben, so lässest du doch dadurch sehr viele andere, die etwas Sicheres, womit sie sich beruhigen können, von dir verlangen, in der Schwebe und im Ungewissen. Es ist, wie ich dir, glaube ich, schon einmal gesagt habe, nicht gerade ehrenhaft für uns, die Lehre, für deren Bezeugung die meisten Heiligen ohne Zögern ihr Blut hergäben, nicht einmal mit Tinte bezeugen zu wollen. Zu solcher vollständigen, deutlichen Erklärung deiner Meinung will dir vielleicht Gott eben jetzt einen Weg öffnen, damit die Leute, die von deiner Autorität abhängen – und deren sind, wie du weißt, sehr viele -, nicht beständig im Zweifel stecken bleiben. Ich sage das aber nicht, um dich zu reizen, sondern um dich zu trösten. Hätte ich nicht die Hoffnung, aus diesem lärmenden Streit könnte etwas Derartiges entstehen, ein viel herberes Leid ergriffe mich. Freilich wollen wir ruhig den Ausgang abwarten, den Gott der Sache geben will, und unterdessen ungebrochenen Mutes unsern Lauf vollenden. Für deine Antwort [in der Nikodemiten-Frage] danke ich dir sehr, zugleich auch für die außerordentliche Freundlichkeit, die du gegen Claude, wie er mir bezeugt hat, an den Tag legtest. Daraus, wie gütig und freundlich du meine Boten aufnimmst, schließe ich, wie du auch gegen mich in Zukunft gesinnt bist. Gott aber danke ich ohne Aufhören, dass ers so gefügt hat, dass in der Hauptsache der Frage, mit der wir an dich gelangt waren, unsere Ansichten übereinstimmten. Wenn auch in einigen Punkten ein kleiner Unterschied besteht, so sind wir doch aufs Beste eins geworden in der Sache selbst. Lebwohl.

[Genf], 28. Juni 1545.

Calvin, Jean – An Melanchthon in Wittenberg (123)

Der weggelassene Schluss enthält lediglich einige politische Nachrichten. Osiander, Pfarrer in Nürnberg, war von einem Zwinglianer in einem Gedicht angegriffen worden.

Anfrage wegen der Nikodemiten. Von allerlei Zwist unter den Evangelischen.

Weshalb [der Überbringer dieser Briefe] ein edler, frommer, junger Mann, in meinem Auftrag die Reise zu Euch unternahm, will ich dir in kurzen Worten erklären. Ich hatte ein Buch in französischer Sprache herausgegeben, in dem ich die Heuchelei der Leute tadelte, die, vom Licht des Evangeliums erleuchtet, sich doch der papistischen Zeremonien nicht enthalten, von denen sie doch wissen, dass sie Schändung des Heiligen und voll Fluches sind. Du hättest vielleicht lieber, ich milderte etwas an diesem schroffen, strengen Urteil. Wie sehr ich aber Recht habe, wirst du selbst beurteilen können, wenn du die Sache wohl erwägst und bedenkst. Als ich dann vernahm, dass viele sich über meine Härte beklagten, besonders von den Leuten, die sich umso weiser vorkommen, je sorglicher sie ihr Leben schonen, verfasste ich eine Art Entschuldigungsschrift, die sie aber eher noch schärfer am Ohr zupft als das erste Büchlein. Viele, denen die Religion bloß als philosophische Theorie gilt, verachten auch das in ihrer Sicherheit. Die aber Gott ernstlich fürchten, sind wenigstens soweit gekommen, dass ihr bisheriges Verhalten anfängt, ihnen zu missfallen. Weil aber die Frage ihnen dunkel scheint, so bleiben sie unentschieden, bis sie durch deine und D. Luthers Entscheidung so oder so bestärkt werden. Ich fürchte freilich, sie fragen Euch nur deshalb um Rat, weil sie hoffen, Ihr werdet nachsichtiger sein mit ihnen. In welcher Absicht sie es nun auch tun, so habe ich gern versprochen, ihren Wunsch zu erfüllen, nämlich zu diesem Zweck einen Boten an Euch zu senden, weil ich fest überzeugt bin, Ihr werdet ihnen treulich heilsamen Rat geben, wie es Euerm lautern Sinn und auch Eurer außerordentlichen Klugheit entspricht. Weil ich aber glaubte, es sei besonders wichtig, dass Ihr nicht nur meine Meinung kennt, sondern auch die Gründe, die mich zu dieser Meinung führten, habe ich gleich die beiden Schriften ins Lateinische übersetzen lassen. Obgleich es nun scheinen könnte, das sei nicht ganz korrekt gehandelt, so bitte ich dich doch um unserer Freundschaft willen, den Verdruss nicht zu scheuen und sie zu lesen. Ich achte dein Urteil so hoch, wie es sich auch gehört, dass es mir sehr unangenehm wäre, etwas auf mich zu nehmen, was von dir nicht ganz gebilligt würde. Ich weiß freilich, dass du in deiner großen Menschenfreundlichkeit andern vieles nachsiehst, was du dir selbst nicht erlaubtest. Aber wir müssen doch zusehen, was uns darin gestattet ist, damit wir nicht lockern, wo der Herr festbindet. Ich bitte dich nicht, mir beizustimmen, das wäre ja auch zu unverschämt, oder auch nur zu meinen Gunsten irgendwie vom freimütigen, geraden Ausdruck deiner Meinung abzustehen, sondern nur, dass du es dich nicht verdrießen lässest, die Langeweile des Lesens [die ich dir zumute], tapfer hinunterzuschlucken. Mein Wunsch wäre es, es möchte unter uns so vollkommene Einigkeit bestehen, dass nicht in einem einzigen Wörtlein auch nur der Schein verschiedener Meinungen entstünde. Aber es ist eher an dir, mir voranzugehen, als dass du darauf schaust, was mir gefällt. Du siehst, wie vertraulich ich mit dir rede; ich fürchte nicht, dass es über das Erlaubte hinausgeht; denn ich weiß, wie viel ich mir bei deinem besonderen Wohlwollen gegen mich gestatten darf.

Bei D. Martinus wird es etwas schwieriger sein. Denn soviel ich gerüchtweise und aus Briefen einzelner Leute vernehmen konnte, wäre es leicht möglich, dass sein kaum versöhnter Sinn durch eine geringe Ursache von neuem gereizt würde. Deshalb soll dir der Bote den Brief zeigen, den ich an ihn schrieb; sieh ihn durch und leite dann die ganze Sache nach deinem Gutdünken. Es ist dann an dir, zu verhüten, dass nicht etwas verkehrt und unvorsichtig unternommen wird, was dann nachher unglücklich ausfiele. Bei deiner Geschicklichkeit weiß ich, dass du das richtig machen wirst. –

Übrigens konnte ich noch nicht mit Sicherheit erfahren, welche Kämpfe Euch heimsuchten und welchen Ausgang sie nahmen. Ich habe nur gehört, es sei [von D. Luther] ein schrecklich scharfes Schriftchen erschienen, das wie die Brandfackel zur Erneuerung der Feuersbrunst wirken werde, wenn nicht der Herr die Geister der Gegenpartei festhalte, die auch sonst schon, wie du weißt, leidenschaftlicher und eingebildeter sind, als recht ist. Wie aber nun erst, wo sie so gereizt werden? Wenn ich bedenke, dass wir in dieser bösen Zeit auch noch in Streitigkeiten unter uns hineingezogen werden, möchte ich fast den Mut zum Leben verlieren. Weil die Zürcher bisher ein gewisses Wohlwollen gegen mich an den Tag legten, habe ich mich gleich, als ich von der Sache hörte, ins Mittel gelegt und gebeten, sie möchten sich nicht auch in den Kampf einlassen. Ob meine Vermittlung etwas nützt, weiß ich nicht. Da ich aber seither keinen Brief von Zürich erhielt, ahnt mir nichts Gutes.

Neulich hat mir ein Kaufmann aus Nürnberg, der hier durchreiste, eine Verteidigungsschrift Osianders gezeigt, über die ich mich für Osiander recht schämte. Wozu war es denn nötig, in jeder dritten Zeile die Zwinglianer zu reizen und Zwingli selbst so unfreundlich herzunehmen, ja nicht einmal den heiligen Knecht Gottes Ökolampad zu schonen? Wenn er uns den doch nur halb wiedergeben könnte! Das wäre mir wahrhaftig viel mehr wert. Ich verlange ja gar nicht von ihm, stillschweigend zuzugeben, dass einer ungestraft seine Ehre angriff, aber ich hätte gern gesehen, er hätte sich der Beschimpfung von Männern enthalten, deren Andenken alle Frommen in Ehren halten müssten. Ebenso wie mir daher die Frechheit des Menschen missfällt, durch dessen Verse Osiander sich als beschimpft ansieht, ebenso wünschte ich an ihm Mäßigung, Klugheit und gesunden Verstand! Guter Gott, welches fröhliche Schauspiel bieten wir den Papisten! Wir arbeiten gleichsam in ihrem Dienst. Doch ich handle ungeschickt, wenn ich die Fehler rüge, die du doch nicht heilen kannst, und dadurch nur deine Trauer darüber vergrößere. Aber klagen müssen wir, da ja die Schäden der Kirche uns auch schmerzen sollen; doch dabei wollen wir uns an der Hoffnung wieder aufrichten, dass, wenn ringsum große Wasserfluten uns umtosen und uns ängstigen, wir doch nicht untergehen können. – –

Lebwohl, hochberühmter Mann und von mir stets verehrter Freund. Der Herr sei mit dir immerdar und erhalte dich noch lange unversehrt für seine Kirche.

Januar 1545.

Dein

Johannes Calvin.

Calvin, Jean – An Melanchthon in Wittenberg (112)

Politisches und Unionistisches.

Da ich den heißen Wunsch hatte, dir zu schreiben, wenn ich nur jemand hätte, dem ich den Brief anvertrauen könnte, kamen mir heute recht geschickt nach der Predigt zwei junge Leute aus Deutschland und boten sich dazu an. Wegen des Kriegslärms kehren sie aus Frankreich in ihre Heimat zurück; einer von ihnen versprach mir, er werde nach Wittenberg reisen. Doch, um die Wahrheit zu sagen, ich weiß kaum, was ich schreiben soll. Nicht weil mir der Stoff fehlt, sondern weil ich bei einer solchen Menge der verschiedensten Dinge, über die ich ausführlich mit dir verhandeln möchte, wenn wir einmal persönlich zusammen sprechen könnten, im Schreiben nicht weiß, wo anfangen und aufhören. Vieles der Art lässt sich auch gar nicht leicht in einem Brief zusammenfassen. Weil meine Briefe erst solange nach ihrer Abfassung in deine Hände kommen, ist dazu noch umsonst geschrieben, was am ehesten die Briefe füllt zwischen Freunden, die nah beieinander wohnen und so hin und her im Verkehr bleiben können.

Wir sind hier in Genf so ziemlich wohl daran, abgesehen von sehr großer Getreidenot. Es wäre Gefahr, dass sie noch wüchse, wenn unsere Behörden nicht von allen Seiten hätten Getreide einführen lassen. Doch haben wir wenigstens Ruhe, was bei der unruhvollen Erschütterung der ganzen Christenwelt schon ein besonderes Gut ist. Der Streit, den unsere Obrigkeit mit Bern hatte, ist nämlich beigelegt. Doch wir wollen noch abwarten, wie die Dinge sich wenden. Übrigens, wenn auch der Herr uns verschont, so ists doch schon schrecklich, nur daran zu denken, welche Nöte andern drohen. Es wird dies Jahr ein fürchterlicher, grausamer Krieg zu Wasser und zu Land geführt werden. Soviel man vermuten kann, wird die Hauptlast dieses Krieges auf Italien fallen. Denn schon steht es dem Kaiser nicht mehr frei, dort untätig zu bleiben, und er wird nichts erreichen, wenn er nicht seine Hauptmacht dorthin verlegt. Man sagt, es habe schon eine Schlacht stattgefunden; es sei ein gewaltiges Schlachten gewesen; das kaiserliche Heer von 18 000 Mann sei teils gefallen, teils in die Flucht geschlagen. Und damit auch Frankreich nichts fehle am größten Elend, heißts, der König habe neuerdings mit dem Papst ein Bündnis geschlossen und durch doppelte Verschwägerung bestärkt. Er gibt seine Tochter dem Kardinal Farnese; seinen Sohn vermählt er mit einer der Nichten des Papstes. Um das zu erreichen, verschwendet der Verwalter des Petrus alle heiligen Kirchenschätze. Venedig schließt sich ihnen an. Schließlich unterlässt überhaupt unser König nichts, wodurch er dem Kaiser Italien rauben kann. So wird dieser, er mag wollen oder nicht, den größten Teil seiner Streitkräfte dort brauchen müssen. Die Türken beherrschen das ligurische Meer. Die Genuesen, die sich in ihrem Hafen eingeschlossen sehen, beginnen den König von Frankreich um Hilfe zu bitten und nehmen jedenfalls alle Bedingungen an, die er ihnen auferlegt. Wenigstens werden sie sich bereitwillig mit Geld, es mag so viel sein als es will, loskaufen. Die beiden großen Bestien werden aber nicht aufhören in ihrem rasenden Kampf, bis sie ganz Europa zerstört haben.

Unterdessen stockt unsere Ausbreitung der Herrschaft Christi selbst da, wo sich Gelegenheit böte. Was am letzten Reichstag [zu Speyer] verhandelt wurde, ist ein Zeichen vom Zusammenbruch Deutschlands. Ich hatte dazu auf Butzers Bitte ein Büchlein geschrieben, das ich dir hier schicke, weil Hoffnung war, die politische Bedrängnis könne den Kaiser dazu bringen, sich für die Religion etwas abringen zu lassen. Da nun die Mühe an ihm verloren ist, so wolle sie Gott andern zum Nutzen dienen lassen. Ich entschuldige mich nicht deswegen, dass ich dir so frech meine Schriften aufdränge. Wie sollte ich mich davor fürchten, da ich es doch schon unternommen habe, dir mein Zeug öffentlich zu widmen. So will ich auch die Bitte wagen, mir bei Gelegenheit in ein paar Worten anzudeuten, welche Aufnahme mein Büchlein in Wittenberg gefunden hat. Du weißt, was ich möchte. Neulich hat mir Bullinger geklagt, alle Zürcher seien wieder von Dr. Luther grausam heruntergerissen worden, und schickte mir dazu die Abschrift eines Briefes, in dem auch ich den Anstand vermisse. Ich beschwöre dich, halte so viel du kannst Dr. Martinus zurück, oder eher hindere ihn daran, seinem Grimm gegen die Zürcher Kirche nachzugeben. Er hat ja vielleicht Grund, ihnen zu zürnen, aber fromme, gelehrte Männer sollten doch höflicher behandelt werden. Lege dich also deiner außerordentlichen Klugheit entsprechend ins Mittel, und mach ihn ein bisschen versöhnlicher. Lebwohl, ausgezeichneter Mann, du treuester Diener Christi und hochverehrter Freund. Der Herr leite dich immer durch seinen Geist und erhalte dich noch lange uns und der Kirche unversehrt.

Genf, 21. April.

Dein

Johannes Calvin.

Grüße Dr. Martinus, Dr. Cruciger und die andern ehrerbietig von mir. Deinen Kommentar zum Daniel habe ich gelesen. Ich bezeuge dir, dass mich kein Buch unserer Zeit so gefreut hat.

Churfürst Johann Friedrich an Luther, Bugenhagen und Melanchthon

1543. 30. December

Vnsern grus zuuor, erwirdigen vnd hochgelarten, lieben andechtigen vnd getreuen. Vns ist Eur radtslag das land zu Braunschweig belangend zu handen komen, welchen wir gelesen, Vnd haben daraus Eurn vleis zu gnedigem gefallen vermarkt. Do auch an den versorgungen der pfarren, schuelen vnd kirchendienern des orts, wie etwas von Euch in solchem Eurm radtslag gemeldet wirdet, mangel were, so horten wir es nit gern, dann wir wissen, was der lantgraf vnd wir stadthaltern vnd rethen zu Wolfenbutel derwegen fur beuelich gethan. Begern auch gnediglich, Ir d. Pomer wollet Euch bei dem superatendenten, so im landt verordnet, wo auch wie vnd welcher gestalt mangel befunden werden sol, erkunden vnd vns das berichten. So wollen wir nit vnderlassen, dem lantgrafen dauon auch vermeldung zuthun, vns auch mit s. l. derhalben zuuorgleichen, damit die pfarren, predigstuelen vnd schuelen bequemlich versorgt werden. Das haben wir Euch gnediger meynung nit wollen pergen vnd seint Euch mit gnaden vnd guten gneigt. Datum Weymar, Sontags nach dem heiligen Cristage Anno ejusdem 1544

Quelle:
Dr. Martin Luthers Briefwechsel
Herausgegeben von Dr. C. A. H. Burkhardt
Leipzig
Verlag von F. C. W. Vogel
1866

Calvin, Jean – An Melanchthon in Wittenberg (95)

Calvin hatte seine Schrift gegen Pighius über den freien Willen dem Melanchthon gewidmet.

Allerlei Nachrichten.

Sieh´ an, welch faulem Bauch du deinen Brief [an mich] anvertraut hast. Nach fast vier Monaten hat er ihn mir endlich gegeben, von langer unordentlicher Behandlung zerrissen und zerfetzt. Ich habe es mir aber als Gewinn angerechnet, dass ich ihn überhaupt noch, wenn auch spät, erhielt. Denn da er ihn hierhin und dorthin mit sich herumgetragen hat, ists ein Wunder, dass er ihn nicht irgendwo liegen ließ. So habe ich ihm leichtlich verziehen, als ich den Brief bekam, wenn schon er mich durch seine Fahrlässigkeit lange Zeit um den Genuss einer besondern Freude gebraucht hat. Könnten wir doch, wie du sagst, öfters, durch Briefe wenigstens, miteinander reden. Freilich dir würde dadurch nichts geboten, mir aber wäre nichts in der Welt erwünschter, als mich zu erholen an deinen lieben, schönen Briefen. Du glaubst kaum, welche Arbeitslast mich hier drückt und drängt. In dieser Not quälen mich am meisten zwei Dinge: erstlich, dass mir der gehörige Erfolg meiner Arbeit nicht sicher ist, und dann, dass ich von dir und ein paar andern so weit weg bin und so die Art Trost, dir mir am wohlsten täte, entbehren muss. Da es aber einmal nicht eines jeden Wünschen überlassen ist, sich den Ort nach Gutdünken auszuwählen, wo er Christo dienen will, so müssen wir eben auf dem Posten bleiben, den er einem jeden von uns angewiesen hat. Das aber soll uns keine örtliche Entfernung rauben, dass wir, zufrieden mit der Verbindung, die Christus durch sein Blut geweiht und durch seinen Geist in unsern Herzen geschlossen, so lang wir auf Erden leben, uns an der schönen Hoffnung aufrecht halten, an die auch dein Brief uns erinnert, dass wir im Himmel einmal ewig miteinander leben werden und dort unserer Liebe und Freundschaft uns freuen können. Übrigens, dass ich bei dem Werk, das ich neulich herausgegeben habe, mit deinem Namen Missbrauch trieb, das bitte ich mir aus Liebe zu verzeihen oder wenigstens aus Freundlichkeit zu erlauben. Unter vielen Gründen, die mich dazu bewogen, war nicht der letzte, dass Pighius den Sadolet auserwählt hatte, um unter seinem Namen sein Zeug loszuschlagen. Ich habe das aber verschwiegen, um mich nicht auf eine Vergleichung zwischen Euch einlassen zu müssen. Aber ich will hier keine lange Entschuldigung vorbringen, da ich doch schon dort bezeugt habe, ich hätte getan, was ich im festen Vertrauen auf das freundliche Wohlwollen, das du mir entgegenbringst, hätte tun dürfen.

Von unsern hiesigen Verhältnissen könnte ich viel schreiben, aber schon das zwingt mich zu schreiben, dass ich doch kein Ende des Erzählens fände. Ich arbeite hier und ermüde mich außerordentlich, aber ich komme nur mäßig vorwärts. Und doch wundern sich alle, dass ich soweit komme bei den vielen Hindernissen, von denen ein gut Teil an den andern Pfarrern selbst liegt. Es ist mir aber doch eine große Erleichterung bei meiner Arbeit, dass nicht nur diese Gemeinde, sondern auch die ganze Nachbarschaft die Früchte meines Hierseins spürt. Rechne zu, dass sogar nach Frankreich und Italien etwas davon strömt. Von der Lage Eures deutschen Landes höre ich nicht ohne herben Schmerz. Dazu ist, was ich von der Zukunft befürchte, nicht leichter, als was mich jetzt traurig macht. Denn wenn wahr ist, was man mir berichtet, dass der Türke mit viel stärkern Truppenmassen den Krieg wieder beginnt, wer wills ihm wehren, nach seinem Gelüsten weit und breit alles zu verwüsten. Und wie wenn es zu wenig wäre, dass durch die Zerstreuung des Heeres ungeheure Kosten umsonst gewesen sind, dass man solche Schande geerntet hat, dass außerdem die beste Blüte der Volkskraft zuerst durch die drei Jahre dauernde Pest und jetzt wieder durch neue Seuche umgekommen ist; wie wenn das nicht genug wäre, so leidet Euer Land noch viel schwerer an dem Zerwürfnis im Innern. Und trotz dieser scharfen Schläge sind die evangelischen Fürsten noch nicht dazu erwacht, dass sie Christo die Ehre zu geben lernten. Es tröstet mich wieder ein wenig, dass man sagt, der Bischof von Köln und ein paar andere hätten ernstlich im Sinn, ihre Kirchen zu reinigen. Das halte ich für keinen kleinen Gewinn, dass Bischöfe, aus deren Stand bisher keiner zu Christo sich bekannte, jetzt anfangen, mit erhobener Hand ihren Abfall vom Götzen zu Rom zu bezeugen. Nur müssen wir jetzt wachen und uns anstrengen, dass wir ihren Lauf fördern, damit nicht aus einem Halbchristentum ein schlimmeres Übel entstehe als das Frühere.

Unterdessen zeigt der Papst zu Rom schon das Trugbild eines Konzils in Trient, damit er die Welt noch ein wenig in gespannter Erwartung erhalte und hinhalte. Aber Gott wird seiner nicht länger spotten lassen. Ich müsste mich arg täuschen, wenn dieses Jahr nicht eine große Veränderung der Weltlage im Schoße trüge, die bald ans Licht kommen wird. Aber ich rede zu viel. Leb also wohl, du in allen Dingen trefflicher, von mir stets im Herrn hochverehrter Mann. Der Herr erhalte dich unverletzt zur Ehre seines Namens und zur Erbauung seiner Kirche. Ich wundere mich, weshalb du deinen [Kommentar zum] Daniel so lange bei dir zurückhältst. Denn ich lasse mich nicht gern noch lange des Genusses seiner Lektüre berauben. Bitte, grüße D. Martinus ehrerbietig in meinem Namen. Wir haben hier gegenwärtig Bernardino [Occhino] von Siena, einen großen berühmten Mann, der durch seinen Übertritt in Italien kein geringes Aufsehen gemacht hat. Der bittet mich, dass ich Euch in seinem Namen einen Gruß schreibe. Nochmals lebwohl mit deiner ganzen Familie, die Gott immer behüte.

Genf, 15. Februar 1543.

Hermann von Wied an Melanchthon, 15.1.1543

Dem Ehrsamen, hochgelehrten, unsern lieben besondern Philippo Melanthoni, der heiligen Schrift Lehrern zu Wittenberg.

Hermann von Gottes Gnaden, Erzbischoff zu Coln und Churfurst rc. Ehrsamer, hochgelehrter, lieber besonderer. Wir haben den ehrsamen, unsern lieben getreuen Petrum Medman zu dir abgefertigt, und ihm Befehl geben, dir etliche unser Gemüth und gnädigs Begehren anzuzeigen, wie du von ihm vernehmen wirdest. Gnädiglich demnach begehrend, du wollest ihm seiner Werbung dießmals gleich uns selbst ohngezweifelt glauben geben, und dich zu Förderung der Ehre Gottes Wohlfahrt unsers Nächsten darinne gutwillig und ohnbeschwert erzeigen. Darin erzeigst du uns sondern danknehmigen Gefallen, mit Gnaden und allem Guten wieder zu erkennen. Geben zu Buschhofen am XVten Ianuarii, anno XXXXIII.

Bretschneider, Carolus Gottlieb
Corpus Reformatorum
Volumen V.
Halis Saxonum
C. A. Schwetschke und Sohn
1838

Hermann, Erzbischof von Köln – An Melanchthon

15. Januar 1543

Dem Ehrsamen, hochgelehrten, unsern lieben besondern Philippo Melanthoni, der heiligen Schrift Lehrern zu Wittenberg.

Hermann von Gottes Gnaden, Erzbischoff zu Colmn und Churfurst rc. Ehrsamer, hochgelehrter, lieber besonderer. Wir haben den ehrsamen, unsern lieben getreuen Petrum Medman zu dir abgefertigt, und ihm Befehl geben, dir etliche unser Gemüth und gnädigs Begehren anzuzeigen, wie du von ihm vernehmen wirdest. Gnädiglich demnach begehrend, du wollest ihm seiner Werbung dießmals gleich uns selbst ohngezweifelt glauben geben, und dich zu Förderung der Ehre Gottes Wohlfahrt unsers Nächsten darinne gutwillig und ohnbeschwert erzeigen. Darin erzeigst du uns sondern danknehmigen Gefallen, mit Gnaden und allem _Guten wieder zu erkennen. Geben zu Buschhofen am XVten Ianuarii, anno XXXXIII.

Corpus Reformatorum
Edidit
Carolus Gottlieb Bretschneider
Volumen V.
Halis Saxonum
Apud C. A. Schwetschke et Filium
1838