Zell, Matthäus – An Wolfgang Capito

Hintergrund: Wolfgang Capito, der gerade nach Straßburg gekommen war, riet ihm, sich beim Predigen zu mäßigen und nicht die Pfarrer und die katholische Kirche herauszufordern

Lieber Probst, ihr redet wohl davon als einer, dem die Sach nit viel angelegen und der die heilig Schrift für eine Kunst und nit für ein Gab Gottes hält. Sie ist mir aber das Wort Gottes in der Wahrheit, das will nit hinlässig, noch weniger schimpflich oder höflich (d.h. nach der Art der Hofleute) gehandelt werden. Wie ich red so mein ichs auch. Ihr Gesellen gedenket mit dem Wort einen Namen, Gunst und Willen bei der Welt zu schöpfen, darum müsset ihr viel Umständ bedenken, dies möchte diesen, dies jenen verletzen, auf diese Weise bringts dir Verkleinerung und könnte dir Feindschaft machen bei der Obrigkeit, bei der Priesterschaft oder beim gemeinen Haufen und also machet ihr mit eurer Klugheit das Wort Gottes matt und kraftlos. Wir aber haben ein ander Fürnehmen, wir bedenken nit mit was Fug oder mit was Anmuthigkeit, Umständen oder Verwahrung wir reden. Wir bedenken was wir schuldig sind zu thun als Diener des Worts und christlicher Freiheit und sehen nit an was für Nutzen wir erlangen mögen. Gott schick es wie er wölle, so wissen wir unser Befelch ist und lassen Gott walten. Den armen Schäflein spreche ich ganz sanft zu, aber die Wölf schrei ich hart an, denn man muß sie nur von dem Stall weg schrecken, sonst fressen sie vor Augen der Hirten die verlassene Herd. Und darum lieber Probst bin ich am Härtesten gegen die verstockten, felsigen Wölf, die aller Pfarren Nutzung fressen und die verachtesten Buben dem Volk vorsetzen, welche sie weisen auf die Stöl (Stolgebühren), das ist die tägliche Verkaufung der Sacrament und priesterlicher Dienstbarkeit, als ein Schneider seinen Knecht aufs Trinkgeld weiset. Daß dadurch Pabst, Bischof, Mönch und Pfaff verkleinert, weiß ich nit hoch zu achten, es geht mich nit an, allein ist meines amtes daß Christus in den Herzen der Gläubigen groß werde. In Gottes Namen ärgere sich wer da will, denn des pharisäischne Haufens achten wir glatt nit. – Und ist von euch heftig angezogen, daß durch mein Predigen das Volk zum Aufruhr gereizt werde gegen die unschuldig Geistlichkeit, die nie kein Wässerlein betrübt hat, als ob noch je einem in Ungutem wär ein Haar angerührt worden von meinen Unterthanen.Daßs sie mich aber begehren zu hören kann ich ihnen nit verdenken, aber niemand mag mit Wahrheit sagen, daß ich sie dermassen unruhig mache. Ich möchte leiden, wenn es nit wider Gott wäre, daß ich fern von hinnen wäre; es diente mir der Welt nach zu Ehr und Nutz, daß ich ein Zeit lang des Meinen gelebte an andern Orten. Wie kann ich aber die frommen Leut mit Ehren verlassen? Wird Weg gefunden, daß ich hie mög bleiben, so will ich keinen Fleiß sparen, sollt ich schon auf meinen eignen Pfennig zehren, und das zu gut der frommen Gemein, die des Worts so fähig und begierig ist. Ich hab nichts andres zu erwarten davon denn große Nachred, Schand, Spott und zuletzt, wo nit Rauheres sich zuträgt, Verweisung des Landes mit Verklerung aller meiner Hab und angeerbter Nahrung. Ich hab nit viel Probsteyen und Dignitäten noch zur Zeit erlangt, auch von niemand begehrt, mag also nit dafür gehalten werden, daß ich meinen eignen Nutz suche. Aber zu Entschuldigung der frommen Gemein nimmt mich Wunder, wie sie immer so geduldig seyn und die großen Scheltwort etlicher Priester, so sie täglich Ketzer und Buben schelten, leiden und vertragen mögen.

Quelle:
Geschichte der Reformation im Elsass und besonders in Strasburg
Timotheus Wilhelm Röhrich
Erster Theil
Erste Lieferung
Strasburg,
Schulbuchhandlung von Friedrich Carl Heitz
Schlauchgasse No. 3.
1830