Sattler, Michael – Aus seinem Gefängnisse an die Gemeine Gottes in Horb geschrieben

Meine lieben Mitgenossen in dem Herrn! Gnade und Barmherzigkeit vor Gott, dem himmlischen Vater, durch Jesum Christum, unsern Herrn, und die Kraft seines Geistes sei mit euch, Geliebte Gottes, Brüder und Schwestern!

Ich kann eurer nicht vergessen, obgleich ich dem Leibe nach nicht gegenwärtig bin; dennoch sorge und wache ich stets für euch, als meine Mitglieder, damit nicht der Leib entzogen oder geraubt werde, und dann der ganze Leichnam mit allen Gliedern Traurigkeit empfange, insbesondere zu dieser Zeit, wo der Grimm des reißenden Wolfes sehr hoch gestiegen und mächtig geworden ist, so daß er auch mich erwecket hat, um mit ihm zu streiten; aber Gott sei ewig Lob, das Haupt ist ihm ganz zerspalten; ich hoffe, sein ganzer Leib wird ihm in Kurzem vergehen, wie geschrieben steht.

Liebe Brüder und Schwestern! Ihr wisset wohl, mit welcher feurigen Liebe ich euch neulich ermahnt habe, als ich bei euch war, daß ihr lauter und gottselig in aller Geduld und Liebe Gottes sein solltet, woran ihr unter diesem ehebrecherischen Geschlechte der gottlosen Menschen als leuchtende und scheinende Lichter erkannt werden möget, welche Gott, der himmlische Vater, mit seiner Erkenntnis und dem Lichte des Geistes erleuchtet hat; mit gleichem Eifer bitte und vermahne ich euch, daß ihr gewiß und vorsichtig unter denen wandelt, die draußen sind als Ungläubige, damit unser Amt, welches uns Gott auferlegt hat, nicht geschmäht und mit Recht gelästert werde.

Gedenket des Herrn, welcher euch den Groschen gegeben hat, denn er wird ihn mit Wucher wieder fordern; damit euch der einzige Groschen nicht wieder genommen werde, leget ihn auf Wucher, nach dem Befehle des Herrn, der euch den Groschen gegeben hat.

Ich bezeuge euch durch die Gnade Gottes, daß ihr wacker seid und wandelt, wie es den Heiligen Gottes geziemt und wohl ansteht. Sehet, welche Strafe der Herr über die unnützen Knechte kommen lässet, nämlich über ganz laue und träge Herzen, welche zu Gottes und der Brüder Liebe ganz ungeschickt und kalt sind. Was ich schreibe, ist euch widerfahren. Lasset euch solches zur Ermahnung dienen, damit nicht auch gleiche Strafe von Gott über euch kommen möge. Hütet, hütet euch vor solchen, damit ihr nicht auch ihre Greuel lernet, die gegen Gottes Befehl und Gebot handeln, sondern strafet dieselben mit großen Bedachte und mit dem Banne nach dem Befehle Christi, doch in aller Liebe und in allem Mitleidne über ihre kalten Herzen. Wenn ihr dieses tun werdet, so werdet ihr bald sehen, wie Gottes Schäflein bei den Wölfen wohnen und werdet wahrnehmen, wie sich diejenigen bald absondern werden, welche nicht auf den rechten Fußpfaden und den lebendigen Wegen Christi durch Kreuz, Elend, Gefängnis, Selbstverleugnung und zuletzt durch den Tod wandern wollen; dann könnt ihr euch in Wahrheit Gott, eurem himmlischen Vater als eine reine, gottselige, lautere Gemeine Christi vorstellen, welche durch sein Blut gereinigt ist, damit sie vor Gott und den Menschen heilig und unsträflich von aller Abgötterei und Greuel geschieden und erlöset sei, damit der Herr aller Herren in ihnen wohnen und sie ihm eine Hütte sein möge. Lieben Brüder! Beherziget, was ich euch schreibe, als ob es die Wahrheit sei, und wendet Fleiß an, daß ihr darnach wandelt. Entfernt euch nicht von dem Ziele, wie ibsher einige getan, sondern verfolgt, ohne abzuweichen, den geraden Weg in aller Geduld, damit ihr nicht selbst das Kreuz, welches Gott euch aufgelegt, Gott zur Schmach und Unehre, wie auch zur Uebertretung und auflösung seiner ewigen, wahrhaftigen, gerechten und lebendigmachenden Gebote aufhebt und wieder ablegt.

Werdet nicht müde, wenn ihr von dem Herrn gestraft werdet, denn diejenigen, die Gott lieb hat, züchtiget er, wie ein Vater, der ein Wohlgefallen an seinem Sohne hat. Was wollet ihr doch anfangen, wenn ihr Gott entfliehen wollet? Was wird es euch helfen, wenn ihr Gott entlaufen wollet? Ist es nicht Gott, welcher Himmel und Erde erfüllt? Weiß er nicht alle Heimlichkeiten eurer eiteln Herzen und die Unkeuschheit eurer Nieren? Alles, was darin ist, ist ihm offenbar und es ist ihm kein Ding verborgen. Du eitler Mensche! wohin willst du doch laufen, daß dich Gott nicht sehe? Warum fliehst du vor der Rute deines Vaters? Wirst du dich nicht nach dem Willlen des Vaters führen lassen, so wirst du kein Erbe seiner Güter sein; warum liebest du mehr die kurze und vergängliche Ruhe, als die gottselige, mäßige Strafe und Züchtigung des Herrn zu deiner Seligkeit? Wie lange willst du essen aus den Töpfen Egyptens? Wie lange willst du fleischlich gesinnt sein? Das Fleisch vergeht samt aller seiner Herrlichkeit, aber das Wort des Herrn bleibet in Ewigkeit. Liebe Brüder, merket was ich euch schreibe, denn es ist nötig, weil ihr sehet, daß ihrer wenige sind, die des Herrn Züchtigung standhaft ertragen wollen; wogegen die meisten Menschen, wenn sie etwas Geringes am Fleische empfinden, matt und müde werden und nicht mehr auf Jesum, den Herzog und Vollender unseres Glaubens sehen; ebenfalls vergessen sie alle seine Gebote und achten das Kleinod nicht hoch, welches der Ruf Gottes den Ueberwindern überall vorhält und verheißt, sondern sie achten die zeitliche Ruhe, die sie vor augen haben, mehr, und halten ise für nützlicher als die ewige, die man hoffen muß. Außerdem gibt es einige, die, wenn ihnen solches vorgehalten wird, Gott wiewohl mit Unrecht beschuldigen, als wollte er sie nicht in seinem Schutze erhalten. Ihr wißt, welche ich meine, seht euch vor, daß ihr mit solchen keine Gemeinschaft habt.

Ferner, geliebte Mitglieder in Christo, seid ermahnt, daß ihr die Liebe nicht vergeßt, ohne welche ihr kein christliches Häuflein sein könnt. Ihr wißt aus dem Zeugnisse des Paulus, unserem Mitbruder, was die Liebe sei, welcher also spricht: die Liebe ist langmütig und freundlich, sie eifert nicht, sie blähet sich nicht auf, sie ist nicht ehrgeizig, sie sucht nicht das Ihre, sie denkt nichts arges, sie hat keine Freude an der Ungerechtigkeit, sondern erfreuet sich in der Wahrheit. Sie leidet alles, sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles. Merkt auf diese Sprüche, so werdet ihr die Liebe Gottes und des Nächsten finden, und wenn ihr Gott liebt, so werdet ihr euch an der Wahrheit erfreuen, und alles glauben, hoffen, ertragen was von Gott kommt. Auf solche Weise wird der vorerwähnte Mangel hinweggenommen und vermieden; wenn ihr aber den Nächsten liebet, so werdet ihr nicht mit Eifer strafen, oder bannen, nicht das Eurige suchen, nichts Arges denken, nicht ehrgeizig, und zuletzt nicht aufgeblasen, sondern barmherzig, gerecht, mildreich in allerlei Gaben, demütig und mitleidig mit den Schwachen und Unvollkommenen sein.

Diese Liebe haben einige Brüder (ich weiß wohl, wer sie sind) verfälscht, und haben einander nicht durch die Liebe auferbauen wollen, sondern haben sich aufgeblasen und sind durch eitle Wissenschaft und Erkenntnis der Dinge unnütz geworden welche Gott allein für sich selbst verborgen halten will. Ich bestrafe oder verwerfe nicht die Gnade und Offenbarung Gottes, sondern nur die hochmütigen Gebräuche dieser Offenbarung. Was nützt es, sagt Paulus, wenn jemand mit Menschen- und Engelzungen redete, und wüßte alle Geheimnisse und Weisheit, und hätte allen Glauben, sagt, was nützet dieses alles, wenn die einige Liebe nicht im Gebrauche ist? Ihr habt es erfahren, was dergleichen aufgeblasene Reden und Unwissenheit nach sich gezogen hat; ihr seht noch täglich ihre falschcen Früchte, obgleich sie sich Gott übergeben haben.

Und laßt euch durch niemand den Grund verrücken, welcher durch den Buchstaben der Heiligen Schrift gelegt, und mit dem Blute Christi und vieler Zeugen Jesu versiegelt ist. Vernehmt nicht dashenige, was sie von ihrem Vater sagen, denn er ist lügenhaft, und glaubt ihrem Geiste nicht, denn er ist ganz im Fleisch versunken. Ueberlegt, was ich euch schreibe, laßt euch diese Dinge zu Herzen gehen, damit ihr von diesem Greuel gereinigt und als fruchtbare, demütige und gehorsame Kinder Gottes erfunden werden mögt. Liebe Brüder! verwundert euch nicht, daß ich diese Dinge so nachdrücklich verhandle, denn es geschieht nicht ohne Grund. Die Brüder haben es euch sicherlich bekannt gemacht, daß einige von uns gefangen seien, und als man die Brüder zu Horb ebenfalls gefangen genommen, hat man uns nachher nach Bintzdorf geführt. In dieser Zeit sind uns viele anschläge der Widersacher begegnet, bald haben sie uns mit dem Stricke, bald mit Feuer oder dem Schwerte gedroht. In solcher Gefahr habe ich mich ganz in des Herrn Willen gegeben, und mich um seines Zeugnisses willen mit allen meinen Mitbrüdern und meiner ehelichen Schwester zum Tode bereitet; dabei gedachte ich der Menge der falschen Brüder, und euch eurer, deren nur wenige sind, weil überhaupt nur wenige treue Arbeiter in des Herrn Weinberge sind; darum habe ich für nötig erachtet, euch mit solcher Ermahnung aufzumuntern, um uns in dem Streite Gottes nachzufolgen, damit ihr euch damit trösten und in des Herrn Züchtigung nicht müde werden mögt.

Mit kurzen Worten, liebe Brüder und Schwestern! dieser Brief soll ein Abschied von euch allen sein, die Gott wahrhaftig lieb haben und ihm nachfolgen (die andern kenne ich nicht), sowie ein Zeugnis meiner Liebe gegen euch sein, welches Gott um eurer Seligkeit willen in mein Herz gelegt hat. Ich hätte wohl noch eine kurze Zeit des Herrn Arbeit bedienen mögen, und es wär auch (wie ich hoffe) nützlich gewesen, aber um meinetwillen ist es besser, entbunden zu werden und bei Christo die Hoffnung der Seligen zu erwarten. Der Herr kann ihm wohl einem andern Arbeiter erwecken, der seine Arbeit vollende.

Bittet, daß die Arbeiter zur Ernte genötigt werden, denn die Zeit des Dreschens ist nahe; der Greuel der Zerstörung ist unter euch offenbar geworden, die auserwählten Knechte und Mägde Gottes werden mit ihres Vaters Namen an ihren Stirnen gezeichnet; die Welt erhebt sich gegen diejenigen, welche von ihrer Verführung erlöst sind; das Evangelium wird vor aller Welt bezeugt, zum Zeugnis über sie, darum ist es nötig, daß des Herrn Tag nicht verziehe.

Ihr wißt, meine geliebten Mitglieder, wie es sich gezieme, sich selbst gottselig und christlich aufzuführen: sehet zu, wachet und betet, damit eure Weisheit euch kein Urteil zuziehe; haltet an im Gebete, damit ihr vor des Menschen Sohn würdig stehen mögt; gedenkt an euern Vorläufer Jesum Christus, und folgt ihm noch durch den Glauben und Gehorsam mit Liebe und Geduld; vergepßt, was fleischlich ist, damit ihr in der Wahrheit Christen und Kinder des höchsten Gottes genannt werden möget; haltet in der Züchtigung eures Vaters im Himmel aus, und weicht weder zur Rechten noch zur Linken aus, damit ihr durch die Türe eingehen möget und damit ihr nicht nötig habt, auf einem fremden Pfade zu wandeln, welchen die Sünder, Zauberer, Götzendiener, und ein jeder, der die Sünde lieb hat, gehen müssen. Gedenkt unserer Versammlung und was darin beschlossen worden; folgt diesem fleißig nach, und wenn noch etwas vergessen wäre, so bittet den Herrn um Verstand; seid mildreich gegen Alle, die unter euch Mangel leiden, insbesondere aber gegen diejenigen, die unter euch mit dem Worte arbeiten und verjagt werden, und ihr Brot in der Stille und Ruhe nicht essen können; vergeßt die Versammlungen nicht, sondern wendet Fleiß an, daß ihr beständig zusammenkommt, und euch sowohl im Gebete für alle Menschen, als im Brotbrechen vereinigt und zwar um so fleißiger, als des Herrn Tag nahe ist. In solcher Zusammenkunft sollt ihr der falschen Brüder Herz offenbar machen, so werdet ihr ihrer bald los werden.

Zuletzt, liebe Brüder und Schwestern, heiligt euch dem, der euch heilig gemacht hat, und vernehmt, was Esdras sagt: Erwartet eures Hirten, er wird euch ewige Ruhe geben, denn er ist nahe, welcher am Ende der Welt kommen wird. Seid bereit, die Belohnung seines Reiches zu empfangen, fliehet den Schatten dieser Welt; stehet auf und sehet die Zahl derer, die zu dem Abendmahle des Herrn gezeichnet sind, denn diejenigen, welche sich der Finsternis der Welt entzogen haben, haben von dem Herrn glänzende Kleider empfangen. O Zion! nimm deine Zahl und behalte deine Gezeichneten, die des Herrn Gesetz erfüllt haben, denn die Zahl der Kinder, die du begehret hast, ist erfüllt. Auf dem Berge Zion habe ich eine große Schar gesehen, welche niemand zählen konnte, die lobten alle den Herrn mit Lobgesängen. Und mitten unter ihnen war ein Jüngling, der mit seiner Länge alle überging, und einem jeden eine Krone auf das Haupt setzte und immer größer ward; ich aber verwunderte mich hierüber und fragte den Engel und sprach: Herr, wer sind diese? er antwortete und sprach: Diese sind’s, die das sterbliche Kleid abgelegt und das unsterbliche angetan, und den Namen Gottes bekannt haben; jetzt werden sie gekrönt und Palmzweige empfangen. Weiter fragte ich den Engel: Wer ist aber der Jüngling, der ihnen die Krone aufsetzt und ihnen Palmzweige in die Hand gibt? und er sprach zu mir: Er ist der Sohn Gottes, welchen sie in der Welt bekannt haben; ich aber fing an, diejenigen höchlich zu preisen, welche so fest für den Namen des Herrn standen.

Ich ermahne euch, geliebte Mitglieder des Leibes Christi, haltet, was ich in dieser Schrift vorgestellt habe und lebt darnach; wenn ich dem Herrn aufgeopfert werden, so laßt euch meine eheliche Schwester anbefohlen sein, als ob ich’s selbst wäre. Der Friede Christi, und die Liebe des himmlischen Vaters, wie auch die Gnade ihres Geistes bewahre euch unbefleckt ohne Sünde, und stelle euch rein und fröhlich vor das Anschauen ihrer Herrlichkeit, in der Zukunft unseres Herrn Jesu Christi, damit ihr in der Zahl der Gerufenen, in dem Abendmahle des einwesentlichen, wahrhaftigen Gottes und Heilandes Jesu Christi erfunden werden mögt, welchem sei ewiger Preis, Lob und Herrlichkeit, Amen.

Hütet euch vor den falschen Brüdern, denn der Herr wird mich vielleicht zu sich rufen, deshalb seid nun gewarnt. Ich warte auf meinen Gott, bittet für alle Gefangenen ohne Unterlaß. Gott sei mit euch allen, Amen.

Gegeben im Turme zu Vinzdorf. Bruder Michael Sattler von Staufen, samt meinen Mitgefangenen in dem Herrn.