Melanchthon, Philipp an Georg Melanchthon

Du hast also dein Versprechen hieher zu kommen nicht gehalten, wie ich doch so sehr gewünscht hätte. Jeden Tag habe ich auf dich gehoft, und dies aus zwei Ursachen: Erstlich wollte ich gern noch mehr von dem Tode meiner Mutter wissen, von welchem du mir so wenig geschrieben hast. Ich weihe ihr noch manche Thräne. Daß sie noch meiner in ihren letzten Augenblicken erwähnt hat, freuet mich herzlich. Kannst du dich von Geschäften los machen, so komm und erzähle mir alles ausführlich. Sodann solltest du mich auch bei meinen jetzigen Sorgen trösten und aufrichten. Mein Herz ist voll von Kümmernissen. Die beiden Männer Luther und Zwingli können nicht übereinkommen, welches doch mein sehnlichster Wunsch wäre. Herr, wenn wirst du Friede in deinem Reiche schaffen! Man wird sich noch so lange streiten, bis es den Heiden ein Greuel ist. Da disputiren sie über das Abendmahl, gleich als ob sie in den Himmel gesehen und Jesum gefragt hätten, wie er die Worte: das ist mein Leib! verstanden habe. Sie werden es doch hier auf Erden nicht ausmachen. Und es gehört auch wohl nicht für uns Schwache, alles ergrübeln und erforschen zu wollen. Genug wenn wir nur wissen und glauben, was zu unserm Heile nöthig ist. Das übrige macht nur Zank, woran der Herr gewiß keinen Gefallen hat. Ich für meinen Theil werde so gesinnt bleiben und mich nicht versündigen. Geschrieben zu Marburg im Jahr 1529.

Philipp Melanchthons Leben
ein Seitenstück zu Luthers Leben
Johann Friedrich Wilhelm Tischer
Leipzig 1795
bei Voß und Compagnie