Zwingli, Huldrych – Herrn Nikolausen von Wattenwyl, Propst zu Bern im Uechtland,

Gnade und Frieden von Gott, unsern Herrn Jesu Christo!

Wie es allen Christen zur Freude gereicht, o allerliebster Bruder in Christo Jesu! daß der Glaube in deinem Vaterlande, in der frommen Stadt Bern, täglich wächst und zunimmt, so freut mich besonders deine Bekehrung von der Finsterniß zum Lichte. Denn viele Dinge sind, die dich daran hätten hindern können: dein vornehmes Geschlecht (Dein eigener Vater vorzüglich bekleidete oft das Schultheißen- und andere Aemter), Reichthum, eigene Verdienste und deine bekannte Milde und Güte gegen die Menschen, und endlich, was dich am meisten hätte hindern können, die Hochachtung, die dir von Seite so vieler Päpste und Bischöfe zu Theil wurde. Diese Dinge alle hätten dich ohne Zweifel an einem freien Bekenntniß des Evangeliums Christi verhindert, wenn nicht Gott dich, mit allem Volke, bei euch besonders gezogen hätte. O wie wahr ist „Niemand kommt zu mir, es ziehe ihn denn mein himmlischer Vater.“ Dieser wirket alle Dinge in allen Menschen; dem sollen wir Alle um eures Glaubens willen Lob und Dank sagen in Ewigkeit. Amen. Daß ich so kühn bin, Dir, mit dem ich früher keine besondere Freundschaft gepflegt, in einer öffentlichen Schrift entgegen zu kommen, geschieht aus keinem anderen Grunde, als aus dem Glauben an den gemeinsamen Christus, der uns zu Brüdern und Gliedern eines Leibes gemacht. Die Heiden schon haben ein Sprichwort: „Fromme kommen ungeladen zu Frommen;“ und demnach hat jeder Christ Grund genug, den Mitchristen um die Freundschaft anzugehen, da sie eines Gottes, einer Taufe und eines Glaubens sind in Christo Jesu. Da ich nun auf letzten Johannis des Täufers Tage von der göttlichen und menschlichen Gerechtigkeit predigte und später von vielen ehrsamen Männern gebeten wurde, diese Ansichten schriftlich zu veröffentlichen: durfte ich, wiewohl ich dazu starke Lust hatte, diese Schrift nicht eurer frommen Stadt zuschreiben. Denn ich habe vernommen, daß ein Gerücht (-) unter euren Mitbürgern verbreitet werde, wie es bei uns zu Zürich so jämmerlich stehe, was doch nicht der Fall ist. Denn es wächst, Gott sei gelobt und gedankt, die Liebe und Freundschaft täglich unter den Gläubigen, und es unternimmt Niemand irgend Etwas, als nach Entscheid und mit Gutheißung der Obrigkeit.

Es giebt wohl auch bei uns Widerspenstige, die vielleicht auf Anderes absehen als auf die Verbreitung der Lehre Christi; diese muß man dulden, bis sie Gott auch zieht, damit die Stärke seines Wortes desto ehrenvoller siege; es muß Widerstand haben, damit man seine Kraft sehe. Wiewohl ich nun diese Schrift nicht eurer Kirche zuschreiben durfte, so wollte ich sie doch dir, als einem ernstlichen, getreuen Diener Gottes, widmen, in der zuversichtlichen Hoffnung, es werde dich solches nicht befremden, sondern du werdest es im Besten aufnehmen, wie es auch gemeint ist. In dieser Schrift wirst du sehen, daß das Evangelium nicht wider die Obrigkeit ist, daß es um zeitlichen Nutzens willen nicht Zerrüttung gebiert, sondern daß es im Gegentheil die Obrigkeit befestige, diese auf dem rechten Wege leite und sie mit dem Volke, in sofern sie christlich fährt und dasjenige Maß beobachtet, das Gott ihr vorschreibt, wahrhaft vereinigt. Darum lies diese Schrift mit den Gläubigen eurer Kirchen; und wo du meiner armen Dienste bedarfst, so thu es mir kund und gebiete über mich! Gott, der uns Alle in das wunderbare Licht seiner Erkenntniß geführt, befestige in uns Alles, was er angefangen! Grüße mir Thomas Wittenbach , Heinrich Lupulus, beide meine Lehrer, Sebastian Meyers), Berchtold Haller (l), eurer Gemeinden Lehrer, meine Mitarbeiter im Evangelio Christi, die edlen, festen, deinen Vater, meinen Herrn, und I. Hans Rudolf Hetzel (?) von Lindach, die strengen Beschirmer christlicher Lehre, Valerius, den Stadtarzt, und Lienhard Tremp, meinen Schwager, und euere ganze Gemeinde.

Gegeben zu Zürich am 30. Tage Heumonats MDXXIII.

Huldreich Zwingli,
dein und aller Christen Diener.