Zwingli, Huldrych – An Werner Steiner (Lapidanus).

Zürich d. 19. Febr. 1523.

Ich weiß wohl, liebster Werner, wie richtig Du von der Lehre Christi denkst. Deßhalb bedarf ich dießfalls keines Erinnerns; denn ich bin überzeugt, daß man so von Dir denken müsse, wie von einem frommen Jünger Christi, welcher Jedermann Christo zu gewinnen wünscht, wenn nicht Einige eine verderbliche Blindheit auf einen verkehrten Sinn führen würde, da sie in ihrer Blindheit sogar zu den Sehenden sprechen: sehet an uns das Falsche und Eitle, prediget uns Irrthümer, saget, was uns gefällt! Sie zischen Christum, den einzigen Heiland unserer Seelen, aus, schmähen seine Boten, ja sie gehen in ihrer Wildheit so weit, daß sie jeden Nächsten unmenschlich behandeln. Die göttlichen Rechte vermögen bei ihnen nichts, die menschlichen aber (ich meine das Naturrecht, daß Du nicht etwa glaubst, ich spreche von den Traditionen der Antichristen) treten sie dergestalt mit Füßen, daß ich von ihnen nichts Besseres als von Krokodilen, Tigern, Löwen und Bären zu hoffen wage. Doch dieß sind die Uebel dieser Welt, womit Gott seine Gläubigen prüft. Ich sage es in Christo, und lüge nicht, daß kein Schmerz uns so sehr quält, als der Unglaube einiger Schweitzer: dieser begleitet, plagt und schreckt mich jeden Augenblick, doch nicht, als befürchtete ich für mich Uebles, sondern vielmehr für jene. Denn es fliegt nun gleichsam alle Art des Bösen vor den Augen umher; die Bosheit ist nicht ferne, sie waltet bei dem nächsten besten; sofort warten unser aber auch Heimsuchungen so bedrohlich, daß, wenn sie uns einmal in ihrem Ungestüm erhafchen, ich fürchte wir möchten es nicht tragen können, und doch tragen müssen. Herr, Dein Wille geschehe! Franziskus wird Dir ohne zweifel das Ganze treulich berichtet haben, weßwegen Du unserer Erinnerung nicht bedarfst. Ich arbeite jetzt Tag und Nacht an der Erklärung jener Artikel. Auch Du wirst dort unsern gemeinschaftlichen Christus anflehen, daß er mich nirgends fallen lasse; denn er wird gleichsam der vermischte Inhalt (famago) aller Meinungen sein, die heut zu Tage im Streit liegen. Ich schreibe aber deutsch; denn die Sätze sind in jeder deutschen Sprache herausgekommen.

Faber von Constanz plaudert gar zu dreist alles, was ihm in den Mund kommt, heraus; doch wird er einmal seinen Rächer und an demselben ein Scheermesser finden. Wiewohl er an gesunder Bildung so arm ist, daß es mir vorkommt, als habe er alles, was ihm einst im Christenthum gelehrt worden, zu Rom verlernt, und mit Recht. Denn was hat Rom mit Christus zu schaffen? Wenn man diesen dahin zu bringen wagt, so ist’s ein Wunder, wenn man nicht Schläge bekommt. Es gibt nichts Neues, das Dich sonderlich interessiren könnte. Wenn aber etwas vorkommt, will ich Dich davon benachrichtigen. Constanz hat seinen Apostel, den Prediger Vannius, welchen es auch gegen die päpstlichen Schriftgelehrten und Pharisäer tapfer vertheidigt; ich hoffe daher, daß die Rabulisten (Zungendrescher) bei dem Constanzer Gericht in Bälde sich vermindern werden. Grüße in unserem Namen Barthol. Stocker und eure christliche Gemeinde, welche Du auch unablässig in der heilsamen Lehre befestigen und unterweisen wirst, damit sie nicht für sich fürchten, obgleich sie eine sehr kleine Heerde sind. Denn ich bin in so viele Geschäfte verwickelt, daß ich dießmal nicht an sie schreiben kann; sobald es sich aber geben wird, will ich mit Vergnügen an sie schreiben. Christus erhalte Dich sammt ihr unversehrt.

Quelle:
Auserlesene geistvolle Briefe Der Reformatoren und sonstiger bedeutender Männer der evangelischen Kirche Zur christlichen Erbauung und Belehrung von C.E. Renner, evangelischem Pfarrer. Stuttgart. C. Cammerer (früher H. W. Beck’s Verlag.) 1862