Oekolampad, Johannes – An H. Zwingli (1522)

Basel, d. 10. Dezbr. 1522.

Sei gegrüßt, guter Zwingli. Wundere Dich nicht, daß ich vor unserer mündlichen Unterredung durch einen Brief mit Dir zu sprechen, und obwohl noch nicht von Angesicht bekannt, das Freundschaftsrecht zu gebrauchen mir herausnehme. Halte dieß dem Ruhme deiner Tugenden und dem Wohlwollen deines Namens, ja Christo selbst willkommen, von welchem diese Salben auf Dich trofen. Daher die, welche ihn auch nur lau lieben, wenn anders ja so geliebt werden kann, dich nicht nur lieben, sondern auch Deine Freundschaft lange und viel müssen genießen wollen. Denn auf dich und deines Gleichen paßt, was von den Panthern heißt, daß sie durch ihren Geruch allerlei Thiere nach sich ziehen. Wir sind, wie er sagt, den Einen ein Geruch des Lebens zum Leben, den Andern ein Geruch des Todes zum Tode. Aber Du bist mir kein Geruch des Todes, sondern des Lebens. Denn indem mir von Dir soviel Gutes verkündet wird, was ich nicht ohne besonderes Vergnügen hören kann, erkenne ich meine Trägheit. Und ich mag wollen oder nicht, ich fühle mich gedrungen, mich Dir zu empfehlen und beliebt zu machen, damit ich durch Deinen lieblichen Geruch reichlicher erquickt werde. Wenn es mir an diesem besonderen Grunde des Schreibens fehlte, so wäre es ein übergenug gewichtiger, wenn ich gratuliren würde, was ich weitaus am meisten thue. Und das hauptsächlich, weil Du Dich so benimmst, daß Du von Allen geliebt werden mußt. Oder wer sollte den nicht lieben, der das Werk Christi mit solchem Fleiße treibt, der seine Schafe so treulich weidet, der den Wölfen so furchtbar ist, der sich für das Haus Israel zur Mauer setzt, der uns die alten Verehrer der Religion in Wort und Wandel darstellt? Denn dieß und vieles Andere erzählten mir solche von Dir, welchen ich gern Glauben schenke, und sofort wünsche ich Dir Glück, freue mich aber, daß mir bei der Nachbarschaft des Orts eine günstige Gelegenheit zu Theil wurde, so daß, obgleich ich noch keine Zeit habe, Dich persönlich zu sprechen, mir doch nicht versagt ist, meine Zuneigung gegen Dich durch ein wie immer beschaffenes Schreiben zu erklären. Du wirst es nach Deiner Menschenfreundlichkeit als einen Liebesdienst aufnehmen, zumal im Namen dessen, welcher der Ursprung der Liebe und die Liebe selbst ist. Ich bitte Gott, er wolle Deinen Geist so bereichern, kräftigen, anfeuern und fruchtbar machen, daß mir oft erfreuliche Nachrichten der Art von Dir, ja von dem Ruhme des Evangeliums und Christi durch Dich zukommen. Daher werde ich, ungeachtet ich zu der Zahl derer gehöre, welche bei dem Gepäck sitzen, oft angefeuert, Dir Glück zu wünschen und Dich schriftlich zum Fortfahren zu ermahnen. Denn dieß erlaube ich mir, so daß ich mich nicht scheue, Dich nur durch Beifall zu ermuntern. Und es ist kein Wunder. Denn es jauchzen bei den streitenden Zuschauern (im Theater) nicht nur die großen Herren zu, sondern auch die Gemeinen. Fahre also auch Du fort, und siege, nicht für Dich, sage ich; denn dieß würdest Du vielleicht nicht hören wollen, da Du weißt, daß wir nicht sowohl das Unsere, als vielmehr das, was Anderer ist, suchen sollen; siege mithin für uns, siege für Christus! Möge, o Zwingli, mit diesem Briefchen der Grund zu einer christlichen Freundschaft gelegt sein. In Bezug auf Deine Freundschaft zweifle ich nicht, daß Du gegen Alle einer und derselbe bist. Es grüßt Dich mein Gast Andreas Cratander. Lebe wohl in Christo. Basel, d. 10. Dezbr. 1522.

Quelle:
Auserlesene geistvolle Briefe Der Reformatoren und sonstiger bedeutender Männer der evangelischen Kirche Zur christlichen Erbauung und Belehrung von C.E. Renner, evangelischem Pfarrer. Stuttgart. C. Cammerer (früher H. W. Beck’S Verlag.) 1862